Die Recherche: „Toxic Masculinity“

Toxic Masculinity. Dieser Begriff taucht immer häufiger in Online-Diskussionen über die Gender-Debatte, sowie in nationalen und internationalen Mainstream-Publikationen auf. Eine eindeutige Definition darüber, was dieser Begriff denn eigentlich bedeutet und welche Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen eines Menschen unter diesen Begriff fallen, bleibt in den meisten Fällen unklar. Auch eine simple Google-Suche führt weder zu seriösen Quellen, noch zu einer Beantwortung der anfänglichen Fragen.

Aber wie heißt es doch so schön: „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg kommen.“ und in diesem Sinne habe ich mich auf die Suche nach einer seriösen und wissenschaftlich validierten Definition des Begriffs Toxic Masculinity gemacht und bin dabei auf folgendes Paper gestoßen, welches im Journal Of Clinical Psychology im Jahr 2005 veröffentlicht wurde. Der Autor Terry A. Kupers analysiert in seinem Artikel „Toxic Masculinity as a Barrier to Mental Health Treatment in Prison“ den Begriff im Zusammenhang  mit der Behandlung psychischer Erkrankungen von Gefängnisinsassen.

Im Verlauf der Einleitung gibt Kupers folgende Definition für den Begriff der Toxic Masculinity:

Toxic masculinity is the constellation of socially regressive male traits that serve to foster domination, the devaluation of women, homophobia, and wanton violence.

Übersetzt also: Toxic Masculinity ist das Zusammenwirken von „sozial-regressiven männlichen Wesenszügen“, welche die Entstehung und das Bestehen von Dominanz, der Abwertung von Frauen, Homophobie und kriminelle/mutwillige Gewalt begünstigen.

Was genau diese „sozial-regressiven männlichen Wesenszüge“ sein sollen, bespricht Kupers in einem späteren Abschnitt und bezieht hier stark den Begriff der Hegemonic Masculinity mit ein:

Connell defines hegemonic masculinity as the dominant notion of masculinity in a particular historical context (Connell, 1987). In contemporary American and European culture, it serves as the standard upon which the “real man” is defined. According to Connell, contemporary hegemonic masculinity is built on two legs, domination of women and a hierarchy of intermale dominance (Connell, 1987; Jennings & Murphy, 2000). It is also shaped to a significant extent by the stigmatization of homosexuality (Frank, 1987). Hegemonic masculinity is the stereotypic notion of masculinity that shapes the socialization and aspirations of young males (Pollack, 1998). Today’s hegemonic masculinity in the United States of America and Europe includes a high degree of ruthless competition, an inability to express emotions other than anger, an unwillingness to admit weakness or dependency, devaluation of women and all feminine attributes in men, homophobia, and so forth (Brittan, 1989). Hegemonic masculinity is conceptual and stereotypic in the sense that most men veer far from the hegemonic norm in their actual idiosyncratic ways, but even as they do so, they tend to worry lest others will view them as unmanly for their deviations from the hegemonic ideal of the real man. [Hervorhebung nicht im Original]

Offensichtlich müssen wir uns auch Connells Ausführungen über Hegemonic Masculinity genauer anschauen, um zu verstehen woher dieser Begriff kommt und womit er gestützt wird. Connell schreibt dazu in ihrem Buch „Gender and Power: Society, the Person and Sexual Politics“ aus dem Jahr 1987 folgendes:

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Connell definiert hier also den Begriff der Hegemonic Masculinity und stützt diesen mit… *Trommelwirbel* nichts. Es gibt angeblich einen „strukturellen Fakt“, nämlich den der „globalen Dominanz“ von Männern über Frauen. Warum das ohne begründeten Zweifel so ist, woran wir das sehen können, wie wir das nachvollziehen können, darüber wird auch in den folgenden Abschnitten kein Wort verloren. Es ist so und auf dieser Prämisse wird alles weitere aufgebaut. Dabei wäre es gerade hierfür notwendig, einen empirischen Beleg für diese vermeintliche Dominanz zu präsentieren.

In einem Absatz kurz darauf lässt Connell dann die nächste Katze aus dem Sack:

Connell1987_Hegemonic Masculinity_4

Ihr Konzept bzw. ihr theoretischer Bezugsrahmen der Hegemonic Masculinity basiert also nicht auf  belegten Kausalitäten. Stattdessen zäumt sie das Pferd von hinten auf, schaut sich den Sachverhalt an, dass die angeblich global-dominante Männlichkeit noch nicht alle anderen Identitäten ausgelöscht hat und schlussfolgert dann, dass es deswegen ein „Gleichgewicht der Kräfte“ geben muss. Die dominante Form der Männlichkeit unterdrückt also lieber, als zu vernichten. Warum, wieso, weshalb… das interessiert nicht.  Die Tatsache, dass es neben der vermeintlich dominanten Form von Männlichkeit auch noch weitere Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit gibt, ist kein Beweis dafür, dass es überhaupt solch eine dominante Form von Männlichkeit gibt.

Kommen wir nach dieser kurzen und enttäuschenden Reise in die Vergangenheit zurück zu Kupers Artikel. Er schreibt noch folgendes zum Begriff der Toxic Masculinity:

The term toxic masculinity is useful in discussions about gender and forms of masculinity because it delineates those aspects of hegemonic masculinity that are socially destructive, such as misogyny, homophobia, greed, and violent domination; and those that are culturally accepted and valued (Kupers, 2001).

Toxic Masculinity beschreibt also eine Teilmenge der Hegemonic Masculinity; konkret beschreibt der Begriff die negativen bzw. sozial-destruktiven Wesenszüge von Männlichkeit. Kupers führt danach noch einmal aus:

Toxic masculinity is constructed of those aspects of hegemonic masculinity that foster domination of others and are, thus, socially destructive. Unfortunate male proclivities associated with toxic masculinity include extreme competition and greed, insensitivity to or lack of consideration of the experiences and feelings of others, a strong need to dominate and control others, an incapacity to nurture, a dread of dependency, a readiness to resort to violence, and the stigmatization and subjugation of women, gays, and men who exhibit feminine characteristics.

Die Frage danach, warum alle diese Eigenschaften bzw. Wesenszüge nicht auch auf Frauen bzw. Weiblichkeit zutreffen können, bleibt natürlich unbeantwortet.

Zusammengefasst: Toxic Masculinity ist ein nicht belegtes Konzept, welches auf dem nicht belegten Konzept der Hegemonic Masculinity basiert. Mit diesem werden negative Wesenszüge, welche bei jedem Menschen vorkommen können, willkürlich einer „Form der Männlichkeit“ zugeschrieben. Dies ist aber weder validiert, noch lässt sich der gesamte theoretische Bezugsrahmen falsifizieren. Und sowas nennt sich dann Wissenschaft.

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Der Gender Pay Gap

Thema heute: Der verzweifelte Versuch von Spiegel-Online, den Gender Pay Gap als Geschlechterdiskriminierung zu verkaufen. Alternativtitel: Wie argumentiere ich möglichst emotional und substanzlos gegen wissenschaftliche Studien. Besprechung des Artikels wieder im Videoformat. Zweiter Teil des Videos folgt in Kürze. Viel Spaß!

Doktorant empfiehlt: Noelplum

Auf den ersten Blick könnte man meinen, noelplum99 wäre auch nur ein weiterer unter den vielen Youtube-Kommentatoren, die sich u.a. mit den Themen Feminismus, Free Speech und der damit zusammenhängenden Politik befassen. Auch wenn er von seinem Stil her einige Ähnlichkeiten mit Sargon of Akkad aufweist, so fällt jedoch auf, dass Noelplum fast immer ein wenig nuancierter recherchiert und argumentiert, was ihn jedoch mit seiner Meinung ebenso oft genau zwischen die beiden Diskussionslager positioniert. Dieses weniger starke Polarisierungspotenzial ist vermutlich auch einer der Gründe, warum er bisher deutlich weniger Aufwind als besagter Sargon of Akkad bekommen hat. Nichtsdestotrotz (oder gerade deswegen) lohnt sich ein Blick in seine Videobeiträge. Viel Spaß!

How Did That Make It Through Peer Review?

Heute einmal etwas ganz anderes: Der Twitter-Account @realpeerreview postet regelmäßig „wissenschaftliche Artikel“, die es in den meisten Fällen irgendwie geschafft haben, durch das Peer-Review Verfahren zu kommen. Die Abstracts, die man da zu lesen bekommt, könnten oftmals auch als Artikel von The Onion durchgehen und daher habe ich mir gedacht, dass man aus diesem Quell unendlicher Freude, doch ein kleines Spiel machen könnte.

Das bedeutet, dass ich mir einen dieser Artikel heraussuchen werde, diesen von Beginn an lese und parallel dazu einzelne Passagen kommentiere. Was kann da schon schiefgehen? Das Spiel geht so lange, bis ich es nicht mehr aushalte und kurz davor bin dem Wahnsinn zu verfallen. Gut, nachdem die Regeln etabliert sind, fange ich auch direkt mit folgendem Meisterwerk an:

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Klasse. Bereits der erste Satz der Einleitung lässt mir die Haare zu Berge stehen:

Recent years have seen extensive literature relating to the body as a modifiable social construct (Liran-Alper and Kama, 2007; Moore and Kosut, 2010).

Einmal abgesehen von dem wahrscheinlich uninteressantesten Einstieg ever, um die Relevanz für seine „Forschungsfrage“ darzustellen, ist die Prämisse bereits vollkommen absurd. Der Körper als soziales Konstrukt, ah ja. Ob mir die zitierten Artikel für das Verstehen dieser Aussage weiterhelfen? Immerhin ist es der erste Satz und ich möchte eigentlich ungern direkt nach einem weiteren Artikel suchen müssen, um überhaupt zu verstehen was mir die Autorin sagen möchte. Also weiter im Programm:

Rather than being perceived as a biological construct or permanent entity, today it is viewed as a malleable product of individual and social processes (Featherstone, 1991; Shilling, 1993; Turner, 2008).

Ok, der Körper wird also als ein soziales und kein biologisches Konstrukt wahrgenommen (was auch immer mit permanent entity gemeint sein soll). Wahrgenommen von wem? Der Autorin? Den zitierten Autoren? Der allgemeinen Bevölkerung? Ich sehe schon, ich werde also nicht drumherum kommen, mir die zitierten Artikel anzuschauen. Dann sehe ich mir doch einmal an, was Liran-Alper und Kama (2007) so zum Körper als soziales Konstrukt zu sagen haben:

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Ah, in Hebräisch. Sehr gut, wirklich sehr gut. Und vor allem so hilfreich. Naja, wir haben ja noch einen anderen Verweis, nämlich Moore und Kosut (2010). Hierbei handelt es sich offenbar um ein Buch mit dem Titel Not Just the Reflexive Reflex: Flesh and Bone in the Social Sciences und es lässt sich mit einer kurzen Suche auf Google ein PDF der Einleitung finden:

Sociologist  Arthur  Frank  elegantly  describes  the  body  as  follows:  “the  body  is not mute,  but  it  is  inarticulate;  it  does  not  use  speech,  yet  begets  it.” When  an academic tells  a  theoretical  story  about  the  body  or  bodies,  she  must  listen closely  to  hear  her own  body  speaking  from  within  it.  If  she  is  able  to  hear  this  body,  she  then  must translate its communication into an imperfect language.

Was. Zur. Hölle.

Das klingt doch mal nach einem wissenschaftlichen Einstieg in ein Thema. Man muss einfach nur ganz genau auf seinen eigenen Körper hören. Und zack, hat man einen Abschluss in den Sozialwissenschaften.

So, der Geduldsfaden wird dünner. Aus diesem Grund werde ich jetzt nur oberflächlich die Einleitung überfliegen, in der Hoffnung, dass dort noch irgendetwas substanzielles aufzufinden ist.

As we reflect on this complicated process, we are forced to confront our own embodiment and the pleasures and dangers of revealing our bodies.

[…]

For women, this practice of “sharing” these embodiments has become a necessary yet risky rite of passage into the academic right (and requirement) to produce knowledge. Importantly, this rite of passage is not equally mandated for our academic colleagues who inhabit bodies that are both physically and symbolically different from ours.

[…]

Bodies may be read aesthetically, as things to be beautified, fixed, fetishized, and adorned.

[…]

Or, conversely, bodies can communicate the effects of institutional racism, abandonment, and neglect as seen in the media images of poor black Hurricane Katrina victims stranded on rooftops begging for water and rescue.

[…]

Approaching the body as lived, rather than as an abstract object or social construct, allows us to begin to understand the subjectivities of the flesh, and how bodies themselves hold an unspoken knowledge.

Ich habe das PDF danach geschlossen, da mich langsam das Gefühl beschleicht, dass ich nicht auf ein akademisches Werk, sondern auf das Manifest eines religiösen Kults gestoßen bin. Außerdem bezweifele ich, dass auf den nächsten 28 Seiten noch irgendwie nachvollziehbar erklärt wird, wie, warum und weshalb der Körper ein soziales Konstrukt sein soll.

Andererseits kann man sich vermutlich alles mit der Denkweise, wie sie in dem Buch von Moore und Kosut praktiziert wird, herleiten, wenn man nur ganz besonders fest in sich selbst hineinhört.

Michael Buchinger versteht nicht: Feminismus

Heute mal ein kleines Experiment in Videoform anstatt des üblichen Blogartikels:

Verbesserungsvorschläge und  Feedback sind natürlich erwünscht und ich behalte mir vor in Zukunft weitere Videos zu erstellen, in Abhängigkeit der allgemeinen Resonanz.

Doktorant empfiehlt: Space Time

Nach Cool Hard Logic in der letzten Woche kommt jetzt schon wieder eine Empfehlung für einen Youtube Kanal, der sich mit wissenschaftlichen Themen befasst: PBS Space Time

Nur geht es diesmal nicht um das Debunking von Verschwörungstheorien, sondern um die Wissensvermittlung rund um die Fachgebiete Astronomie und Astrophysik.  Für alle, die zumindest ein Grundinteresse an diesen Themen besitzen (und früher ebenso gerne wie ich Alpha Centauri mit Harald Lesch gesehen haben), sollte dieser Kanal einen wunderbaren Mix aus Information und Unterhaltung darstellen. Viel Spaß!

„Gewalt: Es ist kein Weißer“

Margarete Stokowski. Das Lesen dieses Namens löst in meinem Kopf normalerweise eine Kaskade immer stärker werdender Schmerzen aus, die ich nur wieder los werde, wenn ich die, dem Namen nachfolgenden, geistigen Ergüsse einfach so gut wie möglich ignoriere.

Gestern jedoch, war alles anders. Vor meinem geistigen Auge spielte sich eine Szene aus einem Paralleluniversum ab. Ein Universum, in dem das kollektive Beschuldigen einer demographischen Gruppe völlig in Ordnung war. In dem Menschen für Körpermerkmale, über die sie keinerlei Kontrolle haben, angeklagt und in einen Topf mit Vergewaltigern, Mördern und Kinderschändern geworfen werden können. Einfach so. In diesem Paralleluniversum machte ich wie gewohnt die Webseite von Spiegel-Online auf und musste Folgendes lesen:

Kommt es zu einer Gewalttat, fragen wir nach der Geschichte des Täters, nach seinem Geschlecht, nach seiner Ideologie und seiner Motivation. Nach der Hautfarbe zu fragen, haben wir uns abgewöhnt. Warum?

Wenn wir von einer Schwangerschaft erfahren, stellen wir oft zwei Fragen: Wann ist es so weit? Und: Weiß man schon, was es wird? Wenn wir von Schlägereien, Massenmord, Vergewaltigung oder Mord hören, fragen wir nicht mehr: Weiß man schon die Hautfarbe? Wir gehen davon aus, dass es nicht-hellhäutige Personen waren.

[…]

Der Schauspieler Wendell Pierce, bekannt aus „The Wire“, wurde aufgrund mutmaßlicher Körperverletzung in Gewahrsam genommen. Mehr als 50 Frauen, unter ihnen eine Vielzahl hellhäutig, werfen dem Comedian und Schauspieler Bill Cosby sexuellen Missbrauch vor. Ein dunkelhäutiger Mann aus dem US-Bundestaat Georgia erschoss skrupellos mehrere seiner Familienmitglieder. Sogar die Gewalt unter schwarzen Teenagern ist weit verbreitet: Im April wurden einer 16-jährigen von mehreren Mitschülerinnen so starke Verletzungen zugefügt, dass sie kurz darauf in einem Krankenhaus verstarb.

In Italien wurde erst vor kurzem ein hochrangiger Menschenhändler mit dunkler Hautfarbe festgenommen. Black Lives Matter-Aktivisten rufen immer wieder offen zu Unruhen und Gewalt auf, die dann in entsprechenden Taten resultieren. Die Gang-Kriminalität macht auch nicht vor neunjährigen Kleinkindern halt. Und auch das Massaker in Orlando, welches mit 50 Toten und mehr als 50 Verletzten endete, wurde von einem nicht-hellhäutigen Mann mit Abstammung aus Afghanistan durchgeführt.

[…]

Wir reden nicht über Hautfarbe oder Herkunft, obwohl wir umgeben sind von Gewalt, die von nicht-hellhäutigen Menschen ausgeht. In den USA erfasste das FBI 2015 jeden Tag rund 13 Vergewaltigungen von Schwarzen bzw. Afroamerikanern, und das sind nur die Fälle, die bei der Polizei angezeigt wurden, die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Insgesamt waren unter den Verdächtigten im Bereich Sexualstraftaten 24,3% Afroamerikaner, obwohl diese nur 12,6% der Gesamtbevölkerung in den USA ausmachen. Laut den Verbrechensstatistiken des FBI sind eine Vielzahl an Verstößen gegen das Gesetz in der nicht-weißen Bevölkerung der USA überproportional vertreten.

[…]

Immer sind es die Weißen, die ihr Verhalten anpassen sollen

Im Englischen gibt es den Begriff der „toxic blackness“, also einer Lebensweise, die auf Dominanz und Gewalt basiert und Gefühle nicht zulässt. Dazu gehört auch die Vorstellung einer gigantischen Ladung sexueller Triebhaftigkeit, die nur mit Mühe in zivilisierten Bahnen gehalten werden kann. Es ist ein Problem, wenn Afroamerikanern immer wieder erzählt wird, dass ein „richtiger Schwarzer“ nicht weine, eine ausschweifende und geradezu animalische Sexualität habe und alles, was sich ihm in den Weg stellt, eigenhändig beiseite räumen müsse – ein Problem für Weiße und Schwarze.

[…]

Wir halten es für eine verdammte Selbstverständlichkeit, dass ein Weißer in der Dämmerung nicht mehr im Wald joggen gehen sollte. Ein Weißer. Immer sind es die Weißen, die ihr Verhalten anpassen sollen. Vielen Schwarzen ist nicht klar, wie sehr Weiße die Angst und den Schutz vor Gewalt in ihren Alltag integrieren. Wie sehr wir ein Klima von Bedrohung für normal halten. Wie oft wir ein Taxi nehmen, um nach Hause zu kommen, nicht aus Bequemlichkeit, sondern um sicher nach Hause zu kommen. Wenn wir das Geld haben.

Selbst Schwarze, die sich für komplett harmlos halten, können etwas dafür tun, dieses Klima der Angst zu ändern. Wenn Sie zum Beispiel abends auf der Straße allein hinter einem Weißen laufen und dieser Ihre Schritte hört, oder wenn Sie ihm entgegenkommen, wechseln Sie doch die Straßenseite. Sie ahnen nicht, wie erleichternd das sein kann.

Was sollte mir dieser rassistische Artikel aus dem Paralleluniversum nun sagen?

Genau. Dass es vollkommen absurd wäre, alle Mitglieder einer demographischen Gruppe kollektiv an den Pranger zu stellen, nur weil andere Menschen aus dieser Gruppe, mit denen sie zufälligerweise die gleiche Hautfarbe oder die gleiche Herkunft teilen, der statistischen Wahrscheinlichkeit nach häufiger Verbrechen begehen. Genauso wenig Sinn würde es ergeben, den Grund für diesen Befund an einer angeblichen intrinsischen Eigenschaft dieser Gruppe festzumachen; sei es vermeintlich „von Natur aus“ oder anerzogen. Weiterhin sollten die irrationalen Ängste der einen Gruppe, nicht als legitime Begründung für eine erwartete/geforderte Verhaltensanpassung der anderen Gruppe anerkannt werden. Vor allem dann nicht, wenn die Statistiken gegen diese irrationalen Ängste sprechen und besagte Gruppe sogar sicherer ist, als jede andere.

Aber zum Glück lebe ich ja nicht in diesem Paralleluniversum. Stattdessen darf ich mir dann ansehen, wie sich Frau Stokowski mit den gleichen Fehlschlüssen und der gleichen Hetze, nicht an der Hautfarbe, sondern an den Genitalien abarbeitet. Yay!

Biologie-Kultur-Ideologie: Ein Modell (2)

Der nächste Schritt in meinem Biologie-Umwelt-Gesellschaft-Interaktionsmodell wird das Hinzufügen des Faktors „Wissenschaft und Technologie“ sein. Bevor ich jedoch dazu komme, ist es notwendig ein paar der von mir verwendeten Begriffe zu definieren, um mögliche Verwirrungen und Missverständnisse etwas abzudämpfen. Unter meinem letzten Post zu diesem Modell ist ja eine doch relativ hitzige Debatte entbrannt und aus diesem Grund möchte ich zwei Punkte noch einmal detaillierter aufgreifen.

Die größte Unschärfe dürfte, meiner Meinung nach, in den Begriffen „Gen“ und „Umweltfaktor“ liegen. Daher jetzt der Versuch einer Definition:

Beginnen wir mit dem Genbegriff. Dafür habe ich das Lehrbuch „Biologie“ von Campbell und Reece aus meinem Schrank geholt und entstaubt. Hier findet sich folgender Satz zur Definition eines Gens:

Ein Gen ist ein Abschnitt der DNA, der zur Herstellung eines RNA-Moleküls benötigt wird. (Biologie Campbell & Reece, 6. Auflage, S. 381)

So kommen wir jetzt also vom Regen in die Traufe. Um den Genbegriff zu verstehen, müssen wir zuerst verstehen was DNA und RNA sind.

Die Desoxyribonukleinsäuren (oder DNS/DNA) sind Makromoleküle, die genetische Informationen codieren und in allen Zellen eines Organismus reproduziert werden. Um diese genetischen Informationen auslesen zu können, wird über den Vorgang der Transkription aus einem Abschnitt der DNA ein RNA-Molekül erstellt. Die Ribonukleinsäuren (oder RNS/RNA) sind der DNA sehr ähnlich. Ein Hauptunterschied ist jedoch, dass die RNA einzelsträngig ist, während die DNA doppelsträngig ist (die bekannte Helix-Form). Weiterhin kann die RNA im Gegensatz zur DNA aus dem Zellkern geschleust werden. Das ist notwendig, da die Proteinbiosynthese (zumindest bei Eukaryoten) außerhalb des Zellkerns an den Ribosomen geschieht. Aus der übertragenen Information kann jetzt im Prozess der Translation ein Protein erstellt werden.

Das ist natürlich nur ein sehr stark gekürzter Abriss der Genexpression, sollte aber für das allgemeine Verständnis des Genbegriffs ausreichen. Noch einmal zusammengefasst:

Genetische Informationen = DNA –> RNA –> Proteine

Die Proteine stellen die Hauptbestandteile aller Zellen dar. Zellen wiederum bilden die Grundlage aller Organismen. Wir haben es hier also mit einem gerichteten Prozess zu tun, der letztendlich zum Phänotyp eines Organismus führt.

Gene sind somit Teilabschnitte der Informationen, die für die Herstellung von biologisch-aktiven Molekülen codieren.


 

Die Definition des Begriffs „Umweltfaktor“ stellt sich als etwas schwieriger heraus:

Die erste Unterteilung, über die nahezu überall Einigkeit besteht, ist die in abiotische und biotische Umweltfaktoren. Abiotische Umweltfaktoren sind ebenfalls relativ eindeutig: Hierzu zählen physikalische und chemische Faktoren wie Temperatur, Sonnenlicht, Sauerstoff, Wasser und ganz allgemein das Vorhandensein von Nährstoffen/Ressourcen.

Was alles unter die Kategorie der biotischen Umweltfaktoren fällt, ist jedoch weniger klar: Klassischerweise (d.h. wenn wir uns die Dynamiken von Tierpopulationen anschauen) werden hierzu Prädation, Parasitismus, Konkurrenz und Symbiose gezählt. Alle diese Konzepte beziehen sich jedoch auf die Interaktionen zwischen verschiedenen Arten. Innerhalb einer Art bzw. einer Population gibt es natürlich auch Faktoren wie Konkurrenz und Kooperation. Zusätzlich finden wir hier noch die sexuellen (sexuelle Selektion) und sozialen Interaktionen (z.B. Brutpflege).

Es gibt hier also einen klaren Bruch zwischen inter- und intraspezifischen Wechselbeziehungen und diesen möchte ich auch noch einmal in meinem Interaktionsmodell verdeutlichen. Gesellschaft und Kultur der Spezies Mensch kategorisiere ich unter den intraspezifischen Wechselbeziehungen, was sich daher auch in der Position dieses Faktors in meinem Modell niederschlägt. Im Gegenzug dazu setzen sich die Umweltfaktoren an der Basis des Modells aus abiotischen und interspezifischen biotischen Faktoren zusammen. Das aktualisierte Modell sieht dann folgendermaßen aus:

Modell1B
Biologie-Umwelt-Gesellschaft-Interaktionsmodell 1b

Doktorant empfiehlt: Cool Hard Logic

Es wird mal wieder Zeit für eine Youtube Empfehlung und ich kann jedem, der ein Faible für das Entlarven von absurden Verschwörungstheorien mit Hilfe wissenschaftlicher Erklärungen hat, nur Cool Hard Logic ans Herz legen. In seiner Video-Reihe „World of Batshit“ zerlegt er die Hypothesen von modernen Geozentristen, Anhängern der Spirit Science und Vertretern der Homöopathie. Selbst die intellektuellen Auswüchse von Personen, die glauben Planeten würden nicht existieren oder Gravitation wäre ein Mythos, werden hier ans Tageslicht gezerrt und Stück für Stück auseinander genommen. Über Letztere hat Cool Hard Logic vor kurzem ein, mal wieder, sehr sehenswertes Werk online gestellt. Viel Spaß!

Feminismus und Zensur: Eine unheilige Allianz

Netzfeminismus ist ja in vielen Fällen eher inkompetent als qualifiziert. Eher plump als raffiniert. Eher amüsant als gefährlich.

Dieses Bild ändert sich aber in jenem Moment, in dem sich die Interessen und Ziele des Feminismus und der von Regierungsorganisationen überschneiden. Dieser Artikel aus der TAZ mit dem Titel „Das Internet zurückerobern“ zeichnet ein erschreckendes Abbild von genau dieser unheiligen Allianz.

So wie ihr geht es vielen Frauen, die regelmäßig das Internet nutzen. Das Phänomen hat unterschiedliche Namen – Hasskommentare, Hate Speech oder Cybersexismus – und es ist ein großes Problem. Netzfeministinnen machen seit Jahren darauf aufmerksam. Endlich scheint sich etwas zu tun: Diese Woche einigten sich die EU und wichtige Online-Netzwerke auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Hasskommentare.

Sind wir also wieder an diesem Punkt. Der nächste Zensurvorstoß, vorangetrieben von Personen wie Anne Wizorek und anderen, selbsternannten NetzfeministInnen. Dass diesen jedes Mittel Recht ist, um die Deutungshoheit in den von ihnen geführten Debatten zu behalten, ist ja bereits hinlänglich bekannt. Und auch die europäischen Regierungsorgane würden sich jederzeit einen Arm ausreißen, um endlich eine legitime Möglichkeit zur Entfernung von unerwünschten Meinungsäußerungen in der anderen Hand zu halten. Dieser neue EU-Beschluss ist scheinbar genau das, worauf beide Lager gewartet und hingearbeitet haben. Unter diesem werden Firmen und deren große soziale Netzwerke, wie Facebook, Twitter und Youtube, dazu verpflichtet „illegale Hassäußerungen“ innerhalb von 24 Stunden zu erkennen und zu entfernen. Gleichzeitig sollen „positive Gegenerzählungen gezielt gefördert werden“. Letztendlich soll hier also von der europäischen Regierungsebene aus auf den öffentlichen Diskurs Einfluss genommen werden. Wie das dann am Ende konkret aussieht und welche „Erzählungen“ unter die Entfernung bzw. Förderung fallen, bleibt unklar. Vermutlich bewusst.

Kraut and Tea weist in einem seiner Videos daraufhin, dass der Begriff „Hate Speech“ in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten der EU nicht unterschiedlicher und unschärfer formuliert sein könnte. Diese Initiative der EU würde an diesem Umstand mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts ändern. Ganz im Gegenteil, man würde nationale „Hate Speech“-Gesetze aushebeln, wenn diese weniger strikte Rahmen setzen. Dieser Beschluss könnte also ein probates Mittel darstellen, um eine Vielzahl an „unerwünschten“ Meinungsäußerungen völlig legal aus den öffentlichen Debatten zu entfernen.

Als besonders interessant stellen sich natürlich die Begründungen für eine solche EU-weite Maßnahme heraus:

Wie real dieser Hass ist, zeigen nicht nur individuelle Erfahrungen, sondern auch diverse Studien. Der britische Thinktank Demos filterte drei Wochen lang Tweets nach den Worten „slut“ oder „whore“. Weltweit wurden in diesem Zeitraum 80.000 Nutzer_innen mit 200.000 solcher Tweets beleidigt. Auch der Guardian beschäftigte sich mit Hate Speech, und zwar auf der eigenen Webseite. Das Ergebnis: Obwohl die Mehrheit der Journalist_innen männlich ist, befinden sich unter den zehn am häufigsten beleidigten Autor_innen acht Frauen und zwei schwarze Männer.

Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Vehemenz bestimmte mediale Vertreter ihre Agenda vorantreiben und sich dabei einen Dreck darum scheren, wie offensichtlich verbogen die eigene Narration doch ist. Vielleicht haben wir aber auch inzwischen ein Stadium erreicht, in dem die blanke Grobschlächtigkeit schon wieder als perfide angesehen werden muss.

Denn dass die Befunde der Demos-Studie aufzeigen, dass die Mehrheit der aggressiven Tweets mit besagtem Inhalt von Frauen verschickt wurden, wird hier natürlich nicht erwähnt. Wenn das Geschlechterverhältnis zwischen „Täter“ und „Opfer“ jedoch wieder mit der Narration konform geht – wie im Fall der „Studie“ des Guardian – dann weist man mit Nachdruck darauf hin. Achja, und da waren ja noch die Ergebnisse des PewResearchCenter über online harassment, die man hier unerklärlicherweise auch nicht aufführt. So sieht Cybersexismus also im Jahr 2016 aus.

Aber auch Frau Wizorek scheut sich nicht eine gute Portion kognitiver Dissonanz zur Schau zu stellen:

Wenn ich daran denke, wie unbeschwert ich noch vor ein paar Jahren im Netz unterwegs war und was ich dort gepostet habe, dann bin ich immer überrascht, wie leichtfüßig ich unterwegs war. Das ist heute nicht mehr so“, sagt Wizorek auch über sich selbst. „Es entsteht eine Schere im Kopf.“

Natürlich. In einer Gesellschaft, in der die freie Meinungsäußerung noch in weiten Teilen ungehindert ausgeübt werden kann, muss man eine Selbstzensur vornehmen, weil einem sonst „Hass“ entgegenschwappt. Kleiner Tipp: Vielleicht sollte man die Definitionen von „Hass“ und „Kritik“ noch einmal nachschlagen und anschließend den eigenen Standpunkt neu evaluieren.

Im Grunde wissen wir aber alle: Das wird nicht geschehen. Stattdessen wird ein staatlicher Zensurapparat gefordert, der uns den Safe Space ermöglicht, den wir uns alle schon so lange wünschen. Denn die naheliegendste Lösung – die Option zur selbst bestimmten Handlung – ist heute nicht mehr „zeitgemäß“:

„Wenn Frauen oder andere Gruppen in sozialen Netzwerken Drohungen erhalten und dann zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten und sie dann erstmal gefragt werden: Was ist denn Twitter? Und dann als Antwort kommt: Dann hören sie eben auf, dort zu schreiben, dann ist das nicht zeitgemäß.“

Die sprachliche Unschärfe, die hier zur Verwendung kommt, ist schon faszinierend. Was meint Frau Wizorek? Von welcher Art „Drohungen“ ist hier die Rede? Ein kritischer Tweet? Oder geht es hier um die viel beschworenen Morddrohungen, die zwar immer wieder angeführt, aber komischerweise nie nachgewiesen werden. Und ja, im letzteren Fall sollte die Polizei ihre Arbeit ernst nehmen und entsprechende Ermittlungen aufnehmen. Da es aber nicht um Morddrohungen geht, die auch nach heutigem Recht bereits illegal sind und polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen, sondern offenbar um andere Formen der „Drohung“, bleibt unklar, wieso die Blockier-Option auf Twitter/Facebook/Youtube als bereits vorhandene Lösung nicht ausreicht.

Ein egalitäres Netz ist laut Wizorek aber im Interesse aller: „Wenn sich Frauen aus dem Netz verdrängen lassen, wird unsere gesellschaftliche Vielfalt nicht abgebildet. Und das ist schade, weil das Internet ursprünglich so ein Emanzipationspotential hatte.“ Wir verspielen damit eine Chance für eine gleichberechtigtere Gesellschaft.

Diese paternalistische Denkweise ist ja kaum auszuhalten. Egalitär ist also, wenn alle den gleichen Zugang zum Netz, aber auch gefälligst die gleiche Meinung haben. Insofern Frauen sich wirklich von unhöflichen/unangenehmen Nachrichten aus dem Internet verdrängen lassen, dann liegen Ursache und Lösung des Problems mit Sicherheit nicht in staatlicher Einflussnahme und Zensurmaßnahmen.

Auf diesen Gipfel der kognitiven Dissonanz fällt mir als Schlusswort eigentlich nur ein Zitat von Prof. Gad Saad ein:

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