Mein Plädoyer für die wissenschaftliche Methode

Ich habe eine sehr interessante und durchaus berechtigte Frage unter meinem letzten Youtube-Video erhalten und so eben eine Antwort dazu verfasst, die ich vor allem denen nicht vorenthalten möchte, die sich selten bis gar nicht in Kommentarspalten aufhalten. Außerdem nutze ich meinen Blog bereits seit einiger Zeit nahezu ausschließlich zum Verbreiten meiner Videos und vielleicht gibt es ja den einen oder anderen, der sich auch mal wieder über einen kurzen Text freuen würde. Darum ohne weiteres Vorgeplänkel direkt zur Frage des Kommentators:

Ich habe da mal eine wirklich ernstgemeinte Frage: Meinst Du/meint Ihr, dass Fakten bzw. wissenschaftliche Forschungen objektiv sind?

(Nur noch eine kurze Erläuterung zum Kontext der Frage: In meinem Video ging es unter anderem darum, ob faktenbasierte Argumentationen überhaupt erfolgreich sein können, wenn sich so viele Menschen doch so stark von Emotionen in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen.)

Nun zu meiner Antwort:

Ich glaube, dass wir zuerst etwas Grundsätzliches klarstellen müssen: Niemand behauptet, dass wissenschaftliche Forschung oder wissenschaftlich, d.h. empirisch, erhobene Daten zu 100% objektiv sind. Daten müssen immer aufbereitet und interpretiert werden, wodurch persönlicher Bias, d.h. Subjektivität, Einfluss nehmen kann. Auch die Erhebung der Daten selbst kann subjektiven Einflüssen und einem Bias unterliegen, niemand bestreitet das.

Aber gerade weil wir wissen, dass Menschen diese Wahrnehmungs- und Interpretationsfehler besitzen und/oder eine Agenda verfolgen können, ist die wissenschaftliche Methode die derzeitig beste Möglichkeit, um die Realität zu untersuchen und zu beschreiben. Das bedeutet jedoch nicht, dass Wissenschaft unfehlbar ist, ganz im Gegenteil. Die Qualität wissenschaftlicher Untersuchungen hängt davon ab, wie sehr sich der jeweilige Wissenschaftler an die Regeln der wissenschaftlichen Methode hält. Dabei ist es egal, ob es um quantitative oder qualitative Messmethoden geht oder ob jemand statistische Auswertungen vornimmt.

Das Grundproblem lautet: Shit in, shit out. Wenn ich meine Fragestellung oder meine Stichprobe bereits so designe, dass ich nur noch die richtigen Daten erheben muss, um zu meiner bereits vorher festgelegten Konklusion zu gelangen, dann ist die wissenschaftliche Forschung, die ich dafür durchführe, keinen einzigen Cent wert. Ebenso kann ich korrekt erhobene Daten so hinbiegen, dass am Ende das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die wissenschaftliche Methode ist ein Werkzeug und es kann korrekt oder falsch verwendet werden.

Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch nicht, dass, nur weil es wissenschaftliche Untersuchungen gibt, die ziemlicher Müll sind, automatisch jede andere wissenschaftliche Untersuchung in Verruf gerät. Eine Kuration von guten bzw. korrekt durchgeführten Studien wird ja bereits durch die entsprechenden Wissenschaftsjournals vorgenommen. Jedes gute Journal hat ein Peer-Review-Verfahren in der einen oder anderen Form. Natürlich bestehen auch hier wieder Lücken und Probleme, die ausgenutzt werden können. Letztendlich bleibt immer nur eines: Das kritische Denken.

Studien führen in der Regel detailgenau auf, welche Methoden verwendet wurden. Wie wurden die Daten erhoben? Was für eine Stichprobe wurde verwendet? Mit welchen statistischen Tests wurde gearbeitet? Immer häufiger gibt es auch Zugriff auf die Rohdaten der Studie oder sonstige Informationen (z.B. die sogenannten Supplements), um die Validität selbst beurteilen zu können. Die Aufgabe der Prüfung obliegt also auch immer dem Einzelnen.

Wenn ich einen Artikel über eine Studie lese und ich auch nur den kleinsten Funken an Skepsis verspüre, dann ignoriere ich erst einmal alles was im Artikel steht. Stattdessen schaue ich mir (die hoffentlich korrekt verlinkte) Originalstudie an, lese mir zuerst das Abstract durch, dann die Diskussion und dann, wenn ich immer noch skeptisch bin, schaue ich mir die verwendeten Methoden und die erhobenen Daten/Ergebnisse an. Erst dann treffe ich die Entscheidung, ob ich den Aussagen der Studie Glauben schenken möchte. Ich verwende den Begriff Glaube hier umgangssprachlich, weil es sich in dem Fall eigentlich nicht mehr um eine Form des Glaubens handelt. Es würde nur noch eine weitere Stufe der Gewissheit geben, nämlich dann, wenn ich die Studie selbst durchgeführt hätte. Das ist aber eine vollkommen unrealistische Forderung und daher habe ich auch kein Problem damit, wenn man beim vorherigen Schritt bereits zu einem gefestigten Entschluss kommt und sich auf dieser Basis eine Meinung bildet. Natürlich kostet es Zeit und Arbeit eine solche Prüfung vorzunehmen, daher ist es auch vollkommen verständlich, wenn man sich dieser Aufgabe nicht stellt. Dann empfehle ich jedoch, den besagten Artikel und dessen Aussage wieder aus dem Gedächtnis zu streichen, so als hätte man ihn gar nicht erst gelesen.

Aber jetzt zur guten Nachricht: Die deutliche Mehrheit der veröffentlichen Studien wird korrekt, und vor allem nachprüfbar korrekt, durchgeführt. Man muss also nicht für jede einzelne Studie eine intensive Einzelprüfung vornehmen. Es empfiehlt sich aber grundsätzlich in die Originalstudie hineinzuschauen, wenn einem etwas unklar ist oder man den präsentierten Ergebnissen oder Interpretationen skeptisch gegenübersteht.

Unabhängig von diesen ganzen Einschränkungen bleibt jedoch eine Gewissheit bestehen: Es gibt derzeit keine bessere Methode zur Untersuchung, Erklärung und Beschreibung der Realität, als die wissenschaftliche Methode.

Aus diesem Grund ist eine faktenbasierte Argumentation auf Grundlage wissenschaftlicher Untersuchung unstreitbar einer emotionsbasierten Argumentation überlegen. Zumindest dann, wenn es um den Aspekt der akkuraten und validen Realitätsbeschreibung geht. Dummerweise ist unser Neocortex, und damit unser bewusstes und rationales Ich, eine verhältnismäßig neue Entwicklung. Unsere Amygdala und alle damit zusammenhängenden Emotionsverarbeitungszentren unseres Gehirns sind evolutionär deutlich älter und haben einen starken, unbewussten Einfluss auf unser Handeln und Denken. Darum versagt eine faktenbasierte Argumentation in so manchen Fällen darin zu überzeugen, während eine emotionsbasierte Argumentation die Massen im Sturm erobern kann.

Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass Fakten und Emotionen gleichwertig wären oder dass es gerechtfertigt ist emotional zu argumentieren. Letzteres stellt nämlich nur ein Manipulationswerkzeug dar, welches unsere inhärenten kognitiven/menschlichen Fehler ausnutzen möchte und mit dem sich der Verwender einen persönlichen Vorteil verschaffen will. Aus diesem Grund ist ein Mittelweg zwischen Fakten und Emotionen auch nicht automatisch eine korrekte Vorgehensweise. Emotionen sind Teil unseres menschlichen Wesens und müssen als solche akzeptiert werden. Sie sind aber keine Rechtfertigung oder ein Beleg für eine Behauptung über die wahrnehmbare Realität. Niemals.

3 Dinge, von denen Suzie Grime keine Ahnung hat

Suzie Grime kann es nicht lassen. Nachdem sie ihre bitgotte Weltanschauung bereits vor einiger Zeit auf ihrem eigenen Youtube-Kanal zum besten gegeben hat, wirkt sie nun auch bei  „funk“ mit, einem Gemeinschaftsprojekt der öffentlich-rechtlichen Sender. Wer jetzt glaubt, dass diese Verlagerung der Plattform in einem gewissen Qualitätsstandard mündet, der hat sich getäuscht. Sehr sogar.

Ein Grund für mich, mir die Perspektive von Suzie Grime auf das Thema „Verhütung“ etwas genauer anzuschauen. Viel Spaß!

Die Geschichte von den Orcas und wie Kultur (nicht) die Evolution beeinflusst

Vielen Menschen kann ich es ja eigentlich gar nicht verübeln, dass sie empirische Daten aus bestimmten Studien nicht (oder nur halb) verstehen und daher Zusammenhänge falsch darstellen. Nicht jeder beschäftigt sich privat oder beruflich mit der biologischen Forschung und gerade in diesem Wissensfeld werden Standpunkte und Meinungen aus Halbwissen und Bauchgefühl geboren, da man meint über etwas zu philosophieren, dass man ja aus erster Hand tagtäglich erfährt. Man ist ja schließlich selbst Teil des organischen Lebens auf diesem Planeten.

Wenn sich aber eine Webseite mit dem Namen „New Scientist“ auf das gleiche Niveau begibt, dann zerreißt es mir unverzüglich die Samthandschuhe:

Orcas are first non-humans whose evolution is driven by culture

Ahja. Die genetische Evolution von Orcas wird also durch deren Kultur beeinflusst und sozusagen „geführt“.

Bereits im ersten Absatz des Artikels werden dann aber plötzlich ganz andere Töne angeschlagen:

Many researchers accept that cultural experiences have helped shape human evolution

Das kann man durchaus unterschreiben, je nachdem wie man Kultur („cultural experiences“) definiert. Im Originalartikel, auf den sich der Artikel des „New Scientist“ bezieht, findet sich folgende Definition für Kultur:

Culture has been broadly defined as information that is capable of affecting individuals’ behaviour, which they acquire from other individuals through teaching, imitation and other forms of social learning. (Quelle: Foote et al. 2016)

Mit dieser Definition von Kultur habe ich ebenfalls kein Problem. Für Vorgänge, bei denen ein, vermutlich ursprünglich spontan auftretendes, Verhalten in einer Population durch Lernen und Imitation zwischen Individuen weitergegeben wurde und dadurch als fester Bestandteil des Verhaltensrepertoire etabliert wird, lassen sich viele Beispiele finden. Hierzu zählt z.B. das Domestizieren von Kühen, und dem folgend, das verstärkte Auftreten von Laktose-Verträglichkeit im Erwachsenenalter in menschlichen Populationen mit Siedlungsgebieten in Mittel- und Südosteuropa. Dieses Beispiel wird ebenfalls im „New Scientist“-Artikel aufgegriffen und der Autor schießt damit dann auch direkt den Vogel ab:

Human genomes have evolved in response to our cultural behaviours: a classic example is the way that some human populations gained genes for lactose tolerance following the onset of dairy farming. (Quelle: New Scientist)

Menschliche Populationen haben also Gene erhalten, als Folge von kulturell erworbenem Verhalten? Auch auf die Gefahr hin, dass ich hier den Eindruck der Haarspalterei erwecke, so ist die verwendete Formulierung doch mehr als irreführend. Und das klärt auch das Paper auf, welches der Autor in seinem Satz verlinkt hat. Dort liest sich Folgendes:

For instance, several lines of evidence show that dairy farming created the selective environment that favoured the spread of alleles for adult lactose tolerance. (Quelle: Laland et al. 2010)

Das ist ja dann doch ein kleiner Unterschied. Die Gene/Allele waren also bereits in der Population vorhanden und konnten sich aufgrund der veränderten Umweltbedingungen (zu denen auch Kultur und Gesellschaft zählen) in der Population verstärkt ausbreiten, da Menschen mit Laktose-Verträglichkeit bessere Überlebenschancen durch die zusätzliche Nahrungsquelle hatten. Kultur verändert also nicht die Gene, sondern fokussiert die Ausprägung bestimmter, vorteilhafter Allele im Phänotyp in Abhängigkeit der Umweltfaktoren. Auch hier finden wir eine hierarchische Struktur wieder, bei denen eine kulturelle Veränderung nur auf Basis der Gene und der Umweltfaktoren stattfinden kann.

Kommen wir jetzt wieder zurück zum Ursprungsartikel und der Geschichte von den Orcas. In dieser Spezies finden wir also einen analogen Prozess: Verschiedene Sub-Populationen von Orcas haben jeweils eigene ökologische Nischen erobert und zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen z.B. in der Beutejagd. Dass sich diese Sub-Populationen aufgrund der räumlichen Trennung und des Gründereffekts auf genetischer Ebene unterscheiden, ist ebenfalls zu erwarten. Warum der Autor jedoch versucht hier die Kausalität umzudrehen und der „Kultur der Orcas“ die Fähigkeit zuspricht, ihre eigene genetische Grundlage zu beeinflussen, bleibt im Dunkeln.

Um es noch einmal vereinfacht zu formulieren: Die Gene legen fest, in welchem Rahmen sich Verhaltensweisen ausprägen können (Verhaltensflexibilität bzw. Verhaltensplastizität) und die herrschenden Umweltbedingungen fördern oder behindern die Ausprägung spezifischer Verhaltensweisen.

Im Fall der Orcas gibt es also zwei Möglichkeiten: Entweder besaßen die Orcas bereits eine sehr hohe genetische Diversität, die dann wiederum eine sehr hohe Verhaltensplastizität erlaubte oder durch den Gründereffekt kam es in den Sub-Populationen zu einem genetischen Drift, der dann wiederum die Ausprägung der jetzt beobachtbaren Verhaltensunterschiede ermöglichte. Keine dieser beiden Möglichkeiten schließt die andere aus und eine Kombination beider Effekte ist denkbar.

Was jedoch nicht passiert ist, ist dass eine Sub-Population der Orcas eine über deren Kultur vermittelte Verhaltensweise erlernt hat, welche dann für die Entstehung der dazu passenden Gene/Allele verantwortlich war. Kultur kann nur mit dem Material arbeiten, welches die Gene liefern. Und „Wissenschaftsjournalismus“ sollte man immer mit Skepsis begegnen.