Doktorant erklärt – Quellenrecherche

Immer wieder stoße ich im Netz auf das Phänomen „Quelle: Internet“, sei es nun in Artikeln der hiesigen Online-Magazine, Youtube-Videos oder auch der Blogosphäre. Dabei lässt sich mit ein paar einfachen Schritten der eigene Beitrag signifikant in seiner Qualität aufwerten und gleichzeitig die eigene Argumentation nach den Kriterien der wissenschaftlichen Methode mit entsprechenden Verweisen belegen. Aus diesem Grund habe ich mich in folgendem Video mit der Thematik der korrekten Quellenrecherche und -angabe beschäftigt. Viel Spaß!

Mein Plädoyer für die wissenschaftliche Methode

Ich habe eine sehr interessante und durchaus berechtigte Frage unter meinem letzten Youtube-Video erhalten und so eben eine Antwort dazu verfasst, die ich vor allem denen nicht vorenthalten möchte, die sich selten bis gar nicht in Kommentarspalten aufhalten. Außerdem nutze ich meinen Blog bereits seit einiger Zeit nahezu ausschließlich zum Verbreiten meiner Videos und vielleicht gibt es ja den einen oder anderen, der sich auch mal wieder über einen kurzen Text freuen würde. Darum ohne weiteres Vorgeplänkel direkt zur Frage des Kommentators:

Ich habe da mal eine wirklich ernstgemeinte Frage: Meinst Du/meint Ihr, dass Fakten bzw. wissenschaftliche Forschungen objektiv sind?

(Nur noch eine kurze Erläuterung zum Kontext der Frage: In meinem Video ging es unter anderem darum, ob faktenbasierte Argumentationen überhaupt erfolgreich sein können, wenn sich so viele Menschen doch so stark von Emotionen in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen.)

Nun zu meiner Antwort:

Ich glaube, dass wir zuerst etwas Grundsätzliches klarstellen müssen: Niemand behauptet, dass wissenschaftliche Forschung oder wissenschaftlich, d.h. empirisch, erhobene Daten zu 100% objektiv sind. Daten müssen immer aufbereitet und interpretiert werden, wodurch persönlicher Bias, d.h. Subjektivität, Einfluss nehmen kann. Auch die Erhebung der Daten selbst kann subjektiven Einflüssen und einem Bias unterliegen, niemand bestreitet das.

Aber gerade weil wir wissen, dass Menschen diese Wahrnehmungs- und Interpretationsfehler besitzen und/oder eine Agenda verfolgen können, ist die wissenschaftliche Methode die derzeitig beste Möglichkeit, um die Realität zu untersuchen und zu beschreiben. Das bedeutet jedoch nicht, dass Wissenschaft unfehlbar ist, ganz im Gegenteil. Die Qualität wissenschaftlicher Untersuchungen hängt davon ab, wie sehr sich der jeweilige Wissenschaftler an die Regeln der wissenschaftlichen Methode hält. Dabei ist es egal, ob es um quantitative oder qualitative Messmethoden geht oder ob jemand statistische Auswertungen vornimmt.

Das Grundproblem lautet: Shit in, shit out. Wenn ich meine Fragestellung oder meine Stichprobe bereits so designe, dass ich nur noch die richtigen Daten erheben muss, um zu meiner bereits vorher festgelegten Konklusion zu gelangen, dann ist die wissenschaftliche Forschung, die ich dafür durchführe, keinen einzigen Cent wert. Ebenso kann ich korrekt erhobene Daten so hinbiegen, dass am Ende das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die wissenschaftliche Methode ist ein Werkzeug und es kann korrekt oder falsch verwendet werden.

Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch nicht, dass, nur weil es wissenschaftliche Untersuchungen gibt, die ziemlicher Müll sind, automatisch jede andere wissenschaftliche Untersuchung in Verruf gerät. Eine Kuration von guten bzw. korrekt durchgeführten Studien wird ja bereits durch die entsprechenden Wissenschaftsjournals vorgenommen. Jedes gute Journal hat ein Peer-Review-Verfahren in der einen oder anderen Form. Natürlich bestehen auch hier wieder Lücken und Probleme, die ausgenutzt werden können. Letztendlich bleibt immer nur eines: Das kritische Denken.

Studien führen in der Regel detailgenau auf, welche Methoden verwendet wurden. Wie wurden die Daten erhoben? Was für eine Stichprobe wurde verwendet? Mit welchen statistischen Tests wurde gearbeitet? Immer häufiger gibt es auch Zugriff auf die Rohdaten der Studie oder sonstige Informationen (z.B. die sogenannten Supplements), um die Validität selbst beurteilen zu können. Die Aufgabe der Prüfung obliegt also auch immer dem Einzelnen.

Wenn ich einen Artikel über eine Studie lese und ich auch nur den kleinsten Funken an Skepsis verspüre, dann ignoriere ich erst einmal alles was im Artikel steht. Stattdessen schaue ich mir (die hoffentlich korrekt verlinkte) Originalstudie an, lese mir zuerst das Abstract durch, dann die Diskussion und dann, wenn ich immer noch skeptisch bin, schaue ich mir die verwendeten Methoden und die erhobenen Daten/Ergebnisse an. Erst dann treffe ich die Entscheidung, ob ich den Aussagen der Studie Glauben schenken möchte. Ich verwende den Begriff Glaube hier umgangssprachlich, weil es sich in dem Fall eigentlich nicht mehr um eine Form des Glaubens handelt. Es würde nur noch eine weitere Stufe der Gewissheit geben, nämlich dann, wenn ich die Studie selbst durchgeführt hätte. Das ist aber eine vollkommen unrealistische Forderung und daher habe ich auch kein Problem damit, wenn man beim vorherigen Schritt bereits zu einem gefestigten Entschluss kommt und sich auf dieser Basis eine Meinung bildet. Natürlich kostet es Zeit und Arbeit eine solche Prüfung vorzunehmen, daher ist es auch vollkommen verständlich, wenn man sich dieser Aufgabe nicht stellt. Dann empfehle ich jedoch, den besagten Artikel und dessen Aussage wieder aus dem Gedächtnis zu streichen, so als hätte man ihn gar nicht erst gelesen.

Aber jetzt zur guten Nachricht: Die deutliche Mehrheit der veröffentlichen Studien wird korrekt, und vor allem nachprüfbar korrekt, durchgeführt. Man muss also nicht für jede einzelne Studie eine intensive Einzelprüfung vornehmen. Es empfiehlt sich aber grundsätzlich in die Originalstudie hineinzuschauen, wenn einem etwas unklar ist oder man den präsentierten Ergebnissen oder Interpretationen skeptisch gegenübersteht.

Unabhängig von diesen ganzen Einschränkungen bleibt jedoch eine Gewissheit bestehen: Es gibt derzeit keine bessere Methode zur Untersuchung, Erklärung und Beschreibung der Realität, als die wissenschaftliche Methode.

Aus diesem Grund ist eine faktenbasierte Argumentation auf Grundlage wissenschaftlicher Untersuchung unstreitbar einer emotionsbasierten Argumentation überlegen. Zumindest dann, wenn es um den Aspekt der akkuraten und validen Realitätsbeschreibung geht. Dummerweise ist unser Neocortex, und damit unser bewusstes und rationales Ich, eine verhältnismäßig neue Entwicklung. Unsere Amygdala und alle damit zusammenhängenden Emotionsverarbeitungszentren unseres Gehirns sind evolutionär deutlich älter und haben einen starken, unbewussten Einfluss auf unser Handeln und Denken. Darum versagt eine faktenbasierte Argumentation in so manchen Fällen darin zu überzeugen, während eine emotionsbasierte Argumentation die Massen im Sturm erobern kann.

Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass Fakten und Emotionen gleichwertig wären oder dass es gerechtfertigt ist emotional zu argumentieren. Letzteres stellt nämlich nur ein Manipulationswerkzeug dar, welches unsere inhärenten kognitiven/menschlichen Fehler ausnutzen möchte und mit dem sich der Verwender einen persönlichen Vorteil verschaffen will. Aus diesem Grund ist ein Mittelweg zwischen Fakten und Emotionen auch nicht automatisch eine korrekte Vorgehensweise. Emotionen sind Teil unseres menschlichen Wesens und müssen als solche akzeptiert werden. Sie sind aber keine Rechtfertigung oder ein Beleg für eine Behauptung über die wahrnehmbare Realität. Niemals.

Hetzen leicht gemacht [Dokto-RANT #3]

Zum Abschluss des Jahres habe ich mich noch einmal vor mein Mikrofon gesetzt und ein paar der Ereignisse der letzten Wochen Revue passieren lassen. Wenn ihr etwas Sitzfleisch mitbringt und ca. 50 Minuten lang meinen Worten lauschen wollt, dann wünsche ich jetzt schon einmal viel Spaß dabei! Unabhängig davon möchte ich aber allen Lesern meines Blogs einen guten Rutsch ins neue Jahr 2017 wünschen. Auf ein weiteres Jahr voller Scheinargumente, Fehlschlüsse und Unfug den es aufzuklären gilt!

Worte = Taten (oder auch „Traue keiner Definition, die du nicht selbst verdreht hast.“)

Der Begriff der „Hassrede“ (engl. hate speech) ist derzeit vor allem in deutschen Medien sehr präsent. Nachdem erst vor kurzem das BKA deutschlandweit 60 Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit sogenannten „Hasskommentaren“ (oder auch „Verbalradikalismus“) durchgeführt hat, Justizminister Heiko Mass Facebook dazu zwingen möchte nicht genehme Kommentare zu löschen und die Amadeu Antonio Stiftung an den Grundlagen für eine Stasi 2.0 arbeitet, stellt sich mir die Frage, woher dieser Begriff hate speech eigentlich kommt und was die Wissenschaft dazu zusagen hat. Die Bezeichnung „Wissenschaft“ verwende ich hier (wie leider so oft) als eine sehr vorsichtige Umschreibung dessen, was einem beim Blick in folgendes Paper erwartet:

Heterosexuals‘ Attitudes Toward Hate Crimes and Hate Speech Against Gays and Lesbians

Modern racism and sexism have been studied to examine the different ways that prejudice can be expressed; yet, little attention has been given to modern heterosexism. This study examined the extent to which modern heterosexism and old-fashioned heterosexism predict acceptance of hate crimes against gays and lesbians and perceptions of hate speech. Male (n= 74) and female (n= 95) heterosexual college students completed a survey consisting of scales that assessed modern and old-fashioned heterosexism, acceptance of violence against gays and lesbians, attitudes toward the harm of hate speech and its offensiveness, and the importance of freedom of speech. Results indicated strong negative relations between both modern and old-fashioned heterosexism and the perceived harm of hate speech. When old-fashioned heterosexism, modern heterosexism, and the importance of freedom of speech were combined to predict hate crime and hate speech attitudes, only old-fashioned heterosexism predicted acceptance of hate crimes. All three predictors contributed to the perception of the harm of hate speech. Gender differences in the role of the importance of freedom of speech in predicting attitudes toward hate crimes and hate speech are noted.

Um kurz zusammenzufassen: Die Autoren postulieren eine Unterscheidung von Heterosexismus (d.h. Sexismus von heterosexuellen Menschen gegenüber homosexuellen Menschen) in einen „altmodischen“ bzw. „traditionellen“ Heterosexismus und einen modernen Heterosexismus.

Diese beiden Begriffe unterscheiden sich, laut den Autoren, wie folgt:

  • Traditioneller Heterosexismus ist eine direkte und öffentliche Zurschaustellung von Meinungen, die eine Ablehnung von Homosexualität und homosexuellen Menschen ausdrücken.
  • Moderner Heterosexismus ist im Gegensatz dazu keine eindeutige und öffentliche Zurschaustellung ablehnender Meinungen, sondern drückt sich in der Befürwortung und Unterstützung von politischen Maßnahmen aus, welche in der Benachteiligung von Minderheiten resultieren.

Hier noch einmal im Wortlaut der Studie:

Old-fashioned heterosexism, or overt sexual prejudice, is a clear expression of negative attitudes toward and  dislike of  gays  and  lesbians,  whereas  modern  heterosexism is  amore subtle type of heterosexism. […]
Old-fashioned heterosexism, like old fashioned racism and sexism may be evolving into a modern form, referred to as symbolic racism (Sears, 1988) or modern racism (McConahay, 1986). Modern racists do not directly express dislike of people of color, and they do not affirm beliefs in the inferiority of minority groups. However, they do support policies that result in disadvantages for minority groups (e.g., elimination of affirmative action, busing). Often, such policies are defended in the guise of support of traditional values. Thus, modern racism is a subtle, indirect way of opposing a group.

Die Autoren möchten nun mit Hilfe mehrerer Befragungen von Studenten (Stichprobe: n = 171; 74 männlich, 95 weiblich; 2 keine Angabe; Durchschnittsalter = 26,72 Jahre) herausfinden, ob ein höherer Wert in der Skala „traditioneller Heterosexismus“ mit einer höheren Akzeptanz von hate crimes und hate speech einhergeht. Parallel dazu erwarten die Autoren, dass ein höherer Wert in der Skala „moderner Heterosexismus“ zwar mit einer höheren Akzeptanz von hate speech, aber nicht von hate crimes einhergeht.

Zusätzlich erfassen die Autoren noch, wie wichtig den Probanden die Meinungsfreiheit ist. Eine höhere Wertschätzung der Meinungsfreiheit soll, laut den Autoren, ebenfalls mit einer höheren Akzeptanz von hate speech einhergehen. In einem finalen Test wurden den Probanden 3 fiktive Szenarien in Textform vorgelegt in welchen Beispiele von hate speech dargestellt wurden. Die Probanden sollen dann bewerten wie beleidigend bzw. gefährlich sie die Szenarien empfinden.

Nach der etwas langen und trockenen Einleitung kommen wir jetzt zum interessanten Part, nämlich den Definitionen von hate crimes und hate speech, welche die Autoren als Grundlage für ihre Studie nehmen:

A hate crime is a criminal act in which the victim was targeted because of the actual or perceived race, color, religion, national origin, ethnicity, gender, disability, or sexual orientation. This may include, but is not limited to, threatening phone calls, hate mail, physical assaults, vandalism,  fires,  and  bombings. […]

In contrast to hate crimes, hate speech is a generic term that has come to embrace the use of speech attacks based on race, ethnicity, religion, and sexual orientation or preference. The expression of hate is not a crime in and of itself. The differences between hate crimes and hate speech  rests  on  the  distinction  between  acts  and  symbols  or  words. Acts, such as assault, battery, vandalism, arson, murder, lynching, and physical harassment, are punishable under our criminal and civil laws. Words, like kike, faggot, nigger, spic, pictures–such as those in pornography depicting women as degraded or abused for sexual pleasure–and symbols are protected by courts as acts of individual expression.

Die Autoren ziehen hier also eine klare Grenze zwischen Handlungen (d.h. hate crimes) und Sprache (d.h. hate speech). Es ist natürlich grundsätzlich schwierig, wenn man sich auf einen theoretischen Bezugsrahmen stützt, zu dem leider am Ende die erhobenen Daten nicht passen.

Aber ich greife voraus. Bevor wir zum überwältigenden Doppeldenk der Autoren in der Interpretation der Daten kommen, müssen wir uns zuerst anschauen, was die fünf Damen denn so herausgefunden haben:

Table1

Die deskriptive Statistik ist schnell erklärt. Die gesamte Stichprobe pendelte sich bei 5 der 7 Variablen in der Mitte der Skalen ein. Nur bei „Offensivesness“ und „Harmfulness“ der 3 Szenarien war die gesamte Stichprobe näher am Maximum der Skalen, d.h. die Probanden schätzten die Szenarien als sehr beleidigend und gefährlich ein.

Zwischen den Geschlechtern gab es ebenfalls Unterschiede. Männer tendierten zu höheren Werten bei den ersten 5 Variablen und zu geringeren Werten bei „Offensiveness“ und „Harmfulness“ der Szenarien. Bei den Frauen war es genau umgekehrt.

Um die Zusammenhänge zwischen den Variablen zu analysieren, haben die Autoren anschließend die Interkorrelationen zwischen den Variablen berechnet und Regressionsanalysen durchgeführt.

Da ich die starke Vermutung habe, dass sich die Daten vermutlich sowieso niemand im Detail anschauen wird, hier nur der Vollständigkeit halber:

Table2

Table3Was soll uns das jetzt also alles sagen? Die Autoren beschreiben das selbst in der  Diskussion ihrer Studie so:

When old-fashioned and modern heterosexism were combined with importance of freedom of speech to predict approval of hate crimes and the harm of hate speech, a different pattern emerged. Controlling for old-fashioned heterosexism, modern heterosexism did not contribute a unique effect for approval of hate crimes or responses to the scenarios. Thus, though modern heterosexism predicted both ap- proval of hate crimes and minimization of the harm and offensiveness of hate speech as described in explicit scenarios, these relations are attributable to modern   heterosexism’s overlap with old-fashioned heterosexism. However, modern heterosexism did sustain an independent contribution to the perceived harm of hate speech.

Die anfängliche Einteilung in traditionellen und modernen Heterosexismus geht also voll nach hinten los. Diese beiden Formen des Sexismus treten nicht parallel auf. Stattdessen besteht eine große Überlappung zwischen modernem und traditionellem Heterosexismus. Personen die modernen Heterosexismus zeigen, zeigen also auch traditionellen Heterosexismus. Es liegt die Vermutung nahe, dass Sexisten ihren Sexismus in der heutigen Zeit einfach besser tarnen, anstatt dass es eine neue Form des unterschwelligen Sexismus gibt, der jetzt von einer breiten Öffentlichkeit geteilt wird.

Aber anstatt dass die Autoren anerkennen, dass die Prämissen ihrer Studie Fehler aufweisen, beginnen sie jetzt damit sich ihre Ergebnisse schön zu reden.

The question arises as to why modern heterosexism predicted the perceived harm of hate speech more strongly than the offensiveness and harmfulness of the speech in the scenarios, as demonstrated by the independent effect of modern heterosexism in the regressions on harm of hate speech but not on responses to the scenarios. Because the scenarios are specific and strong instances of hate speech (and instances that have actually been reported), modern heterosexism may contribute to hate speech only when the issue is phrased in the abstract. When the egregious behavior is explicitly described, it may only be the more overt type of heterosexism that becomes engaged in responses to hate speech. However, it is not that the participants regarded the speech as hate crimes because freedom of speech predicted responses to the harm of hate speech and the responses of the scenarios and did not predict approval of hate crimes. (Hervorhebung nicht im Original)

Ah ja. Moderner Heterosexismus offenbart sich also nur dann, wenn hate speech in einer abstrakten Form(?) und nicht in einem realen Szenario dargeboten wird. Völlig nachvollziehbar.

Does this mean that modern heterosexism is innocuous because it is only related to the perceived harm of hate speech abstractly stated and not to responses to the scenarios and approval of hate crimes? No, and for several reasons. First, there was a strong intercorrelation between old-fashioned and modern heterosexism. When modern heterosexism is expressed it is possible that it has become old-fashioned heterosexism or sexual prejudice gone underground. Secondly, speech and acts are inseparable and the line between speech and acts is arbitrarily drawn. […] (Hervorhebung nicht im Original)

Was. Zur. Hölle. Die Grenze zwischen Sprache und Handlungen ist willkürlich?

Wie war das doch gleich am Beginn der Studie?

The differences between hate crimes and hate speech rests on the distinction between acts and symbols or words.

Jetzt wird vor allem eine Sache glasklar: Für die Autoren gibt es keinen Unterschied zwischen Worten und Taten. Ein verbaler „Angriff“ ist gleichbedeutend mit einem physischen Angriff. Den fünf Damen schmeckt es daher offensichtlich überhaupt nicht, dass es in den USA einen sehr starken Schutz der Meinungsfreiheit gibt und hier würde man sich vermutlich am liebsten eine Änderung des First Amendments der Verfassung der Vereinigten Staaten wünschen.

Dabei erkennen die Autoren am Ende sogar an, dass das Wertschätzen der Freedom of Speech keinen Zusammenhang mit der Akzeptanz von hate speech hat.

However, freedom of speech was not the mechanism by which modern heterosexists justified tolerance of hate speech of gays and lesbians. Freedom of speech was an independent predictor and controlling for freedom of speech did not reduce the effect of modern heterosexism on the harm of hate speech.

Erneut zeigt sich, dass Schlagworte wie hate speech auf einem sehr wackeligen, „akademischen“ Fundament gebaut sind. Wenn es den Autoren nicht passt, dann wird einfach die Definition von hate speech angezweifelt und umgedeutet, um dann die erhobenen empirischen Daten ins rechte Licht zu rücken.

Schlimmer ist jedoch, dass aus jeder geschriebenen Zeile die Unzufriedenheit darüber trieft, dass Worte und Taten nicht einfach mal eben gleichgesetzt werden können. Wenn das die Attitüde ist, aus der sich auch die aktuellen Bestrebungen in Deutschland und Europa speisen, dann können wir uns ja für die kommenden Wochen und Monate schon einmal warm anziehen. #amadeuantoniofilme

How Did That Make It Through Peer Review?

Heute einmal etwas ganz anderes: Der Twitter-Account @realpeerreview postet regelmäßig „wissenschaftliche Artikel“, die es in den meisten Fällen irgendwie geschafft haben, durch das Peer-Review Verfahren zu kommen. Die Abstracts, die man da zu lesen bekommt, könnten oftmals auch als Artikel von The Onion durchgehen und daher habe ich mir gedacht, dass man aus diesem Quell unendlicher Freude, doch ein kleines Spiel machen könnte.

Das bedeutet, dass ich mir einen dieser Artikel heraussuchen werde, diesen von Beginn an lese und parallel dazu einzelne Passagen kommentiere. Was kann da schon schiefgehen? Das Spiel geht so lange, bis ich es nicht mehr aushalte und kurz davor bin dem Wahnsinn zu verfallen. Gut, nachdem die Regeln etabliert sind, fange ich auch direkt mit folgendem Meisterwerk an:

1

Klasse. Bereits der erste Satz der Einleitung lässt mir die Haare zu Berge stehen:

Recent years have seen extensive literature relating to the body as a modifiable social construct (Liran-Alper and Kama, 2007; Moore and Kosut, 2010).

Einmal abgesehen von dem wahrscheinlich uninteressantesten Einstieg ever, um die Relevanz für seine „Forschungsfrage“ darzustellen, ist die Prämisse bereits vollkommen absurd. Der Körper als soziales Konstrukt, ah ja. Ob mir die zitierten Artikel für das Verstehen dieser Aussage weiterhelfen? Immerhin ist es der erste Satz und ich möchte eigentlich ungern direkt nach einem weiteren Artikel suchen müssen, um überhaupt zu verstehen was mir die Autorin sagen möchte. Also weiter im Programm:

Rather than being perceived as a biological construct or permanent entity, today it is viewed as a malleable product of individual and social processes (Featherstone, 1991; Shilling, 1993; Turner, 2008).

Ok, der Körper wird also als ein soziales und kein biologisches Konstrukt wahrgenommen (was auch immer mit permanent entity gemeint sein soll). Wahrgenommen von wem? Der Autorin? Den zitierten Autoren? Der allgemeinen Bevölkerung? Ich sehe schon, ich werde also nicht drumherum kommen, mir die zitierten Artikel anzuschauen. Dann sehe ich mir doch einmal an, was Liran-Alper und Kama (2007) so zum Körper als soziales Konstrukt zu sagen haben:

1_1

Ah, in Hebräisch. Sehr gut, wirklich sehr gut. Und vor allem so hilfreich. Naja, wir haben ja noch einen anderen Verweis, nämlich Moore und Kosut (2010). Hierbei handelt es sich offenbar um ein Buch mit dem Titel Not Just the Reflexive Reflex: Flesh and Bone in the Social Sciences und es lässt sich mit einer kurzen Suche auf Google ein PDF der Einleitung finden:

Sociologist  Arthur  Frank  elegantly  describes  the  body  as  follows:  “the  body  is not mute,  but  it  is  inarticulate;  it  does  not  use  speech,  yet  begets  it.” When  an academic tells  a  theoretical  story  about  the  body  or  bodies,  she  must  listen closely  to  hear  her own  body  speaking  from  within  it.  If  she  is  able  to  hear  this  body,  she  then  must translate its communication into an imperfect language.

Was. Zur. Hölle.

Das klingt doch mal nach einem wissenschaftlichen Einstieg in ein Thema. Man muss einfach nur ganz genau auf seinen eigenen Körper hören. Und zack, hat man einen Abschluss in den Sozialwissenschaften.

So, der Geduldsfaden wird dünner. Aus diesem Grund werde ich jetzt nur oberflächlich die Einleitung überfliegen, in der Hoffnung, dass dort noch irgendetwas substanzielles aufzufinden ist.

As we reflect on this complicated process, we are forced to confront our own embodiment and the pleasures and dangers of revealing our bodies.

[…]

For women, this practice of “sharing” these embodiments has become a necessary yet risky rite of passage into the academic right (and requirement) to produce knowledge. Importantly, this rite of passage is not equally mandated for our academic colleagues who inhabit bodies that are both physically and symbolically different from ours.

[…]

Bodies may be read aesthetically, as things to be beautified, fixed, fetishized, and adorned.

[…]

Or, conversely, bodies can communicate the effects of institutional racism, abandonment, and neglect as seen in the media images of poor black Hurricane Katrina victims stranded on rooftops begging for water and rescue.

[…]

Approaching the body as lived, rather than as an abstract object or social construct, allows us to begin to understand the subjectivities of the flesh, and how bodies themselves hold an unspoken knowledge.

Ich habe das PDF danach geschlossen, da mich langsam das Gefühl beschleicht, dass ich nicht auf ein akademisches Werk, sondern auf das Manifest eines religiösen Kults gestoßen bin. Außerdem bezweifele ich, dass auf den nächsten 28 Seiten noch irgendwie nachvollziehbar erklärt wird, wie, warum und weshalb der Körper ein soziales Konstrukt sein soll.

Andererseits kann man sich vermutlich alles mit der Denkweise, wie sie in dem Buch von Moore und Kosut praktiziert wird, herleiten, wenn man nur ganz besonders fest in sich selbst hineinhört.

Das wissenschaftliche Peer-Review (und dessen Probleme)

Da sich momentan wieder eine meiner geplanten Veröffentlichungen im Peer-Review-Verfahren befindet (und sich dieses bereits seit Monaten hinzieht), musste ich mich gedanklich mehrfach mit der Sinnhaftigkeit und vor allem der Effektivität dieses Verfahrens befassens. Eins vorweg: Mit dem Peer-Review verhält sich es genauso wie mit der Demokratie. Also nutze ich die Gelegenheit und krame ein extrem ausgelutschtes Zitat hervor:

Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. (Winston Churchill, 1947)

Wenn wir „Demokratie“ mit „Peer-Review-Verfahren“ und „Regierungsformen“ mit „Qualitätskontrolle“ austauschen, dann sollte die Analogie doch relativ stimmig sein.

Es gibt zwei gewaltige Hürden die überwunden werden müssen, um eine angemessene, wissenschaftliche Qualitätskontrolle zu ermöglichen: 1. Es muss die Neutralität der Gutachter gewährleistet sein. Das klingt einfach, stellt sich aber in der Praxis des Wissenschaftsbetriebs als ungeheuer schwierig dar. Einzelne Fachgebiete sind stellenweise so spezifisch, dass eine Abkapselung der aktiv mitwirkenden Wissenschaftler unvermeidlich ist. Man kennt sich. Man trifft sich auf Konferenzen. Man liest die Paper der „Peers“ und zitiert diese natürlich in den eigenen Arbeiten. Das geschieht oftmals nicht zwangsläufig aus Sympathie, sondern aus einer puren Notwendigkeit heraus. Es gibt einfach keine Alternativen, selbst wenn man sie haben wollen würde. (Damit soll aber kein Urteil über die eigentliche Qualität der wissenschaftlichen Arbeit gefällt werden. Nur weil ein Wissenschaftler isoliert arbeitet, muss seine Arbeit dadurch nicht schlechter sein, als das bei stärker vernetzten Wissenschaftlern oder interdisziplinären Fachgebieten der Fall ist.) Das Review-Verfahren läuft dadurch natürlich Gefahr, dass die (meist) anonymen Reviewer bestimmte Arbeiten von bestimmten Personen bevorzugt behandeln oder, im Gegenzug, deutlich kritischer als nötig begutachten. Einige Journals gehen inzwischen dazu über, dass die Namen Reviewer am Ende des Verfahrens aufgedeckt werden. Das führt jedoch zu ganz neuen Problemen, auf die ich vielleicht in einem späteren Post einmal eingehen werde.

2. Die Gutachter (in der Regel sind es zwei Gutachter für ein Paper) müssen eine ausreichende Fachkenntnis über die Thematik haben, die in einem Paper behandelt wird. Und dazu zählt sowohl der theoretische Hintergrund, als auch die Praxis (Methodik). Dieser Umstand schränkt den Kreis potenzieller Reviewer noch stärker ein. Wenn keine Reviewer mit entsprechender Expertise gefunden werden, muss natürlich der Kreis erweitert werden. Als Folge tauchen die nächsten Probleme auf: Entweder werden Publikationen durchgewunken, weil der Reviewer das Thema nicht ausreichend versteht, um eine angemessene Begutachtung durchzuführen, oder der Review Prozess zieht sich um ein Vielfaches in die Länge, da sich oft über sprachliche Unschärfen „gestritten“ wird, die einem Fachfremden natürlich mehr Probleme bereiten, als einem Reviewer der selbst in der Thematik beschäftigt ist.

Man könnte natürlich noch viel detaillierter auf einzelne Aspekte und Probleme des Peer-Review-Verfahrens eingehen. Ich belasse es jetzt aber vorerst einmal bei dieser groben Betrachtung.

Stattdessen ein kurzer Schwenk: Besonders anschauliche Beispiele, bei denen das Peer-Review offensichtlich versagt hat (egal ob formell durch ein Journal oder informell durch Kollegen/Vorgesetze), werden täglich vom Twitter-Account @real_peerreview aus den Untiefen von Pubmed oder vergleichbaren Publikations-Archiven ans Tageslicht geholt. Was sich dort teilweise in den Abstracts lesen lässt, sollte auch Personen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs die (Fremd)Schamesröte ins Gesicht steigen lassen. Ob nun Liebesgeschichten aus World of Warcraft oder Interpretationen darüber, warum Menschen Auto fahren, währenddessen Musik hören und was das alles überhaupt mit dem Klimawandel zu tun hat… Scheinbar alles lässt sich in einem Paper verarbeiten, sei es noch so trivial, sei die Prämisse noch so unfundiert. Occam’s Razor und/oder das Prinzip der Falsifizierbarkeit scheinen den Autoren ebenfalls mehr als fremd zu sein.

Wenn man eine Person zynischer Natur ist, dann könnte man vermutlich meinen, dass diese digital geschriebenen und digital veröffentlichten Worte niemandem schaden (nicht einmal Bäume mussten für Druckerpapier ihr Leben lassen!). Das ist aber zu kurz gedacht: Diese Studenten/Doktoranden/Post-Docs/Professoren verschwenden ihre Lebenszeit und die Anderer. Sie verbrauchen Ressourcen (finanziell und materiell), deren Einsatz sinnvoller gestaltet werden könnte. Und sie beschädigen auf lange Sicht gesehen die Academia als Ganzes, die sich irgendwann für diese Missstände rechtfertigen werden muss.