St. Kiyak [Gastbeitrag von Maricon]

„Gabriel, Kretschmann, von der Leyen: Hochrangige Politiker fordern ein Ende der Political Correctness. Sie handeln damit unverschämt, undemokratisch und asozial.“

Manchmal gibt es wirklich Dinge die einen sehr, sehr ungehalten machen und ich muss sagen, dieser Artikel ist einer davon. So ungehalten, dass man einen Freund darum bittet mich auf seinem Blog schreiben zu lassen. Dieser Absatz da oben ist ein Abschnitt aus eben besagtem Artikel und ich will ihn Stück für Stück auseinandernehmen. Denn ich glaube es wird mal Zeit. Dies wird definitiv eine Weile dauern, denn mit diesem Artikel stimmen so, so viele Sachen nicht. Also, wenn man noch etwas zu tun hat, sollte man es vor dem Lesen tun. Wer die Zeit nicht hat kann auch zum Fazit am Ende springen. Mein Name ist zweckmäßig Maricon und ich werde heute ihr sarkastischer Gastgeber sein.

„Man hört das neuerdings wieder öfter: Die Political Correctness gehöre abgeschafft. Weniger Political Correctness würde weniger Rechtsextremismus erzeugen oder wenigstens dafür sorgen, dass Wähler sich nicht von Rechtspopulisten verführen ließen. Denn das Abdriften in die Radikalität sei eine Reaktion auf Sprechtabus.“

Hier haben wir bereits den ersten erkennbaren Mangel an Verständnis der Reaktion. Es ist nicht nur eine Reaktion auf die „Sprachtabus“, sondern geht bei weitem darüber hinaus. Es geht unter anderem auch darum, was für einen Einfluss die Political Correctness auf Dinge wie zum Beispiel die Gesetzgebung und die Ausgabe von öffentlichen Geldern ausübt. Oder, wie man später in diesem Artikel noch sehen wird, was für einen Einfluss auf den Realitätssinn im öffentlichen Diskurs. Diskussionen wurden beispielsweise bereits in den ersten Tagen der Flüchtlingskrise zugunsten von Political Correctness beeinträchtigt, indem man meinte man sollte „Rechts keinen Raum einräumen“.

„Ist das so? Ist Political Correctness eine Art Gesetz, dessen Abschaffung oder Änderung man fordern kann, wie es Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg auf dem Grünen-Parteitag ausrief:

„Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben!“”

Ich weiß nicht wie man darauf käme aus dem dort zitierten Satz abzuleiten, dass es sich um eine Art geltendes Gesetz handeln würde, welches man damit kritisiert. Es scheint mir aber relativ offensichtlich, dass es sich um eine Kritik des Verhaltens der Gesprächsteilnehmer, nicht um eine durchgesetzte allgemeine Gesetzgebung handelt. Natürlich kann ich mich auch irren, denn dieser Artikel gibt leider viel zu wenig Informationen mit einem derartig kurzen Satz.

Auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) attestiert den Politikern:

„Ja, die Political Correctness ist überzogen worden.“

Und Sigmar Gabriel, der gern der nächste Kanzlerkandidat der SPD werden möchte, klagte in einer Bundestagsfraktionssitzung angeblich über „zu viel Political Correctness“ im Dialog mit den Bürgern.

Gabriel hat es anscheinend auch nicht ganz verstanden, denn der Punkt ist ja gerade, dass kein richtiger Dialog stattfindet.

„Zunächst einmal ist Political Correctness eine Chiffre für eine über Jahrzehnte dauernde Anstrengung, die Zivilisation und ihre Werte als Errungenschaft zu betrachten, an der nichtweiße Menschen genauso einen Anteil tragen wie weiße.“

  1. Nach wessen Interpretation?
  2. Welche Zivilisation ist hier gemeint?
  3. Welche Werte?
  4. Was für einen Anteil?

„Amerikanische Studenten gruben diesen vergessenen Begriff der politischen Korrektheit aus und benutzten ihn in ironischer Weise. Sie wollten darauf aufmerksam machen, dass es doch nicht sein kann, dass auf amerikanischen Universitäten immer nur Bezug auf weiße Männer genommen wurde, aber nie auf Frauen, Schwarze und andere Minderheiten. Und tatsächlich stellte man sofort fest, dass durch das Ignorieren von bedeutenden Schriften und Denkern aus anderen Teilen der Welt eine Gewichtung und Benachteiligung stattgefunden hatte.“

Dies hat wenig Relevanz für die moderne Konzeption des Begriffes, da er in dieser Form nicht mehr wirklich benutzt wird. Außer von den Leuten die speziell diese Interpretation popularisieren wollen, aber das wäre nochmal etwas komplett anderes.

„Political Correctness wollte anfangs vor allem die Reflexion über eine unverhältnismäßige Hierarchisierung von Minderheiten, „fremden“ Völkern und ihren Kulturleistungen erreichen. Wessen Schriften werden verlegt, gelesen, gelehrt? Inwieweit zeugen Sprache und Gesetze von Benachteiligung einzelner Gruppen?“

Der Witz an dieser Aussage ist ja, dass “Political Correctness” in der modernen Konzeption gerade eine Hierarchisierung vornimmt. Die „Oppression Olympics“. Statt des hier genannten „Wessen Schriften werden gelesen“, was eine recht nutzlose Fragestellung ist, ist die eigentliche Frage allerdings „Welche Schriften, für was und wofür?“ Was bedeutet Benachteiligung in diesem Kontext? Benachteiligung ist vollkommen irrelevant, solange es nicht gerade eine illegitime Benachteiligung ist und die sollte erst einmal nachgewiesen werden.

Anständig bleiben, nachdenken, klug reden

Von hier an wird es dann wirklich witzig.

„Halten Grundsätze der Demokratie wie das Wahlrecht und die Rechtssicherheit für Homosexuelle, Schwarze, Unverheiratete, Alleinerziehende, Arme und Mitglieder von Religionsgemeinschaften nicht nur auf dem Papier, sondern auch dem realen Leben stand? Menschenrechte speisen sich auch aus dem Reden über Benachteiligte. Die Sprache ist ein Indikator für den Wert, den Minderheiten im öffentlichen Diskurs haben. Man kann sie mit Sprache bloßstellen und diffamieren, man kann sie auch schützen und integrieren.“

Worauf bitte will man hier hinaus? Es scheint mir relativ eindeutig, dass die Autorin meint die Gleichberechtigung würde nicht durchgesetzt, aber die tatsächliche Argumentation scheint sie außen vorlassen zu wollen. Die Links geben Beispiele, aber auch die muss man sehr hinterfragen. Dafür müsste ich allerdings die Artikel, gerade den zweiten, nochmal separat durchgehen aber selbst dann ist es nicht komplett klar ersichtlich, was eigentlich gemeint ist. Ich werde daher weitere Kommentare des Abschnitts vermeiden.

„Meistens sind es die Benachteiligten selbst, die auf ihre Gleichberechtigung pochen. Political Correctness ist ihr Versuch, sich zu emanzipieren. Die erbitterten Widerstände, mit denen sie zu kämpfen haben, zeigen die Notwendigkeit ihres Kampfes.“

  1. Hier werden mehrere Behauptungen, explizit wie implizit, gestellt die man wirklich mal analysieren muss. Der erste Satz geht davon aus, dass es bei „Political Correctness“ überhaupt um Gleichberechtigung geht, aber da gibt es bereits diverse Probleme. Wenn man sich mal besonders den englischsprachigen Raum ansieht, bemerkt man eine ganze paranoid-neurotische Bandbreite von Auswirkungen, die die Political Correctness hervorruft und nicht alle haben mit Gleichberechtigung auch nur implizit zu tun. Sexistisches Airconditioning, „Donglegate“ oder „Personal Pronouns“, es gibt haufenweise Dinge, die für Personen als Individuen lästig sind, welche dann, oft ohne Begründung außer einem überzogenen Gefühl von Wichtigkeit, zu einer Menschenrechtssache aufgeblasen werden. Unter dem (reinen) Vorwand, dass die Person diskriminiert wird. Der Komfort wird zum Recht erhoben, die Opposition zu diesem Ansatz als Unterdrückung gewertet.
  2. Nun zum zweiten Satz. Emanzipation bedeutet, dass man aus Gefangenschaft bzw. Unterdrückung entlassen wird. Und die Frage ist in diesem Fall gerade was genau diese sein soll. Das Problem am Begriff Political Correctness ist hier, dass die Autorin diesen nicht im Sinne der Leute, die ihn benutzen, definiert. Sie beschreibt ihn nur aber es ist relativ eindeutig, dass sie nicht meint oder weiß was gemeint ist. Die Definition die man bekommt, bzw. erahnen muss, wirkt sehr zu Gunsten einer bestimmten (eigenen) Position ausgerichtet, ohne tatsächlichen Bezug zu der Problematik, die damit häufig beschrieben wird. Aber gut, ich muss einräumen, wenn die einzigen Leute von denen ich den Begriff hören würde die deutsche Rechte wäre, wäre ich auch ziemlich verwirrt.
  3. Und nun zum letzten Teil des Abschnitts. Ich bitte darum ihn genau durchzulesen, denn das da ist wirklich etwas ganz besonderes in Sachen Argumentation. Hier wird nämlich die Idee, dass man mit der eigenen Position falsch liegen könnte, effektiv ausgeblendet. Wir liegen richtig. Die Widerrede beweist umso mehr, dass wir richtig liegen. Mit anderen Worten: Bis wir etwas anderes sagen, liegen wir richtig.

„“PC zu sein“ ist ein sehr technischer Begriff für die Bemühungen, Komplexität von Gesellschaft als gegeben und normal zu betrachten und sie nicht fortwährend für politische Zwecke zu denunzieren und zu instrumentalisieren. Wer das nicht kann oder will, der reagiert aggressiv darauf.“

Gnadenlos solipsistisch. Political Correctness beschreibt diverse puritanische Haltungen auf Basis von Identity Politics. Meistens zutiefst autoritäre.

„Der meint, dass „die“ Political Correctness schuld daran sei, dass er oder sie nicht sagen dürfe, dass Muslime oder Christen oder Juden oder Jesiden oder Aleviten, dass Schwarze aus Afrika oder Braune aus Mexiko, dass Homosexuelle oder Transgender aus Europa, krimineller, schlechter, ekliger, gefährlicher als andere seien.“

Ich weiß offen gesagt nicht, welchem Zweck die Anführungszeichen um das „die“ erfüllen. Aber abgesehen davon, ja. Leute mit bestimmten Weltanschauungen können sehr wohl als objektiv gefährlicher beschrieben werden, wenn diese Weltanschauungen Gewalt in bestimmten Situationen vorschreiben oder explizit erlauben. Da ändert sich nichts dran, nur weil es vielleicht eine Minderheitenanschauung sein könnte. Außerdem, in statistischer Hinsicht kann man sich sicher sein, dass es Unterschiede in den Gruppen gibt. Zum Beispiel wird man nur wenig säkulare Individuen finden, die ihre Kinder misshandeln wenn sie herausfinden, dass sie z.B. homosexuell sind.

„Wer sich auf sein Recht beruft, von „Schlitzaugen“ (Günther Oettinger über Chinesen) oder „wunderbaren Negern“ (Joachim Herrmann über Roberto Blanco) oder „belgischen Ackergäulen“ (Thilo Sarrazin über Muslime) zu sprechen, weil es ihm nicht gelingt, das Handeln eines Menschen vorurteilsfrei zu bewerten, der hat eine Vereinbarung mit sich selbst gebrochen: anständig bleiben, nachdenken, klug reden.”

Witzig finde ich hier dran wie wenig Sinn der Satz macht. „Schlitzauge“ ist eine Beschreibung die keine Bewertung eines Verhaltens darstellt, „wunderbarer Neger“ ist eine Bezeichnung, die keine „vor“-urteilhafte Beurteilung darstellt, da er es ja gerade auf der Basis seiner persönlichen Beobachtung aufstellt. Natürlich ist es beim Kommentator auch fragwürdig ob die Aussagen getroffen wurden/werden „weil es ihm nicht gelingt, das Handeln eines Menschen vorurteilsfrei zu bewerten“, aber irgendwie schiene es mir wie eine ziemlich bizarre, zu spezifische Begründung für diese speziellen Beispiele. Zum letzten Abschnitt sage ich jetzt mal nichts ausführliches, der Abschnitt endet mit einer Pointe.

„Rassistisch und primitiv wird überall gesprochen“

Von hier an wird es statt witzig eher daneben.

„Political Correctness kann man weder überziehen noch übertreiben. Es sei denn, man hat genug vom Denken und von der Lust, Gleichheit unter Menschen zu schaffen.“

Hier ist gleich nochmal ein kleiner Witz eingebaut. Unbewusst wie ich vermute. Die ursprüngliche Phrase der PC wurde benutzt, um Nähe zum Soviet-Kommunismus zu bezeichnen. Die hatten definitiv Lust Gleichheit zu schaffen.

„Genug davon, Vielfalt als Gleichwertigkeit zu betrachten.“

Wer auch immer das tut.

„Wer degradierende Begriffe für Schwarze, Homosexuelle oder Muslime im politischen Diskurs für unverzichtbar hält, muss von vorn beginnen.“

Misrepräsentation der Gegenposition.

„Nicht diejenigen, die diesen Zivilisationssprung schon hinter sich gebracht haben, müssen sich den politisch Unkorrekten anpassen, sondern umgekehrt.“

Ohne jetzt diesen großen Sprung nach vorne zu kritisieren… Ich könnte mich irren, aber haben wir uns hier von „Anti-PC ist eine Abneigung gegen Sprachtabus“ zu „Anti-PC bedeutet, dass die politische Korrekten sich den Unkorrekten angleichen“ bewegt?

„Wer keine Veranlassung darin sieht, in Flüchtlingen Kriminelle zu sehen, in Muslimen eine Staatsgefahr, der muss sich nicht dafür einsetzen, dass das so diskutiert werden darf.“

Davon abgesehen, dass es sich hierbei um die klischeemäßigsten, der Diskussion unwürdigsten Positionen von Migrationsgegnern in der Debatte handelt; zweifellos ein Zufall, dass es gerade diese sind, die benutzt werden um die Gegenseite anzugreifen, ehm… Doch. Man muss sich unbedingt dafür einsetzen, dass man Diskussionen führen darf, auch auf diese Weise. Auch mit lächerlichen Positionen. Gerade die lächerlichen Positionen. Man beachte allerdings das subtile Appellieren an eine bestimmte Meinungsgruppe sich bestimmten Diskussionen zu verschließen.

„Es gibt niemanden Bestimmtes, der für Political Correctness zuständig wäre. Es gibt keine Instanz, die mit Gewalt derlei Regeln durchzusetzen versucht.“

Was nicht heißt, dass nicht eine ganze Menge Leute versuchen eine zu etablieren. In Deutschland außerdem, ist das falsch, da wir Sprachgesetze haben, von denen auch einige eben auch in den entsprechenden Stil fallen.

„Es handelt sich um einen Diskurs.“

Wenn dieser Artikel Teil eines Diskurses ist, ist er der bislang unbeantwortete Anfang.

„Ein öffentliches Gespräch, das gleichzeitig die Ungleichheit illustriert. Die Mehrheit der Sprechenden gehört keiner gesellschaftlichen Minderheit an.“

Wirkt für mich beeindruckend bedeutungslos. Die Mehrheit der Sprecher gehört einer gesellschaftlichen Mehrheit an und diese ist damit eher vertreten als die Minderheit der Sprecher, die die gesellschaftliche Minderheiten vertritt. Man kann zumindest nicht sagen, dass dieser Satz inhaltlich keinen Sinn macht, er wirkt auf mich sehr intuitiv. Was er allerdings insgesamt für einen Sinn macht in dieser Kolumne, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Davon mal abgesehen, steht es der Autorin frei den Wert von Gleichheit zu demonstrieren. Es ist nämlich nicht inhärent wertvoll, obwohl es ein so vielgepriesenes Ideal ist.

„Umso alberner wirkt es natürlich, wenn die Beendigung der politischen Korrektheit von denjenigen gefordert wird, die Teil der privilegierten Klasse sind.“

Nur leider ist das hier nicht der ausschließliche Fall. Es fehlt natürlich immer noch das Erbringen des Beweises, dass es eine Privilegierung gibt, ohne strikten Bezug auf ein komplett von ad-hoc-Hypothesen getragenen ideologischen Systems und eine Definition von Recht, die kein Mensch außerhalb der Sozialwissenschaft anerkennen würde.

„Es steht denjenigen, die niemals die Erfahrung von Diskriminierung oder Rassismus gemacht haben, nicht zu, zu bestimmen, wann es genug ist mit Antirassismus.“

Mit anderen Worten, es ist egal was wir machen oder wie wenig Sinn das macht was wir tun, solange unsere Definition von Rassismus/Diskriminierung Dinge einschließt die ihr nicht erlebt habt, seid ihr nicht qualifiziert darüber zu reden, was für Maßnahmen angebracht sind. Klingt doch eleganter als „Schnauze halten“, oder?

Die Grenzen des Sagbaren sind längst überschritten

Waren sie schon immer. Seit es menschengemachte Grenzen gibt gibt es Überschreiter. Non-statement.

„Wenn Politiker in Zeiten von brennenden Asylheimen und Angriffen auf Minderheiten fordern, es müsse erlaubt sein, offen Probleme der Integration zu benennen, dann wird es düster und unverschämt:“

Weil wir in „hier spezifische Problem enthaltenden Zeitraum einfügen“ leben, darum dürft ihr in diesem Zeitraum nicht über bestimmte Probleme reden. Beeindruckend. Dieser Satz lässt mich an englische Nüsse denken.

„Wir haben in Deutschland viele Probleme, aber sicher keines damit, dass man sich nicht jederzeit rassistisch, widerwärtig und primitiv im öffentlichen Raum äußern dürfe.“

Wie hängt das nochmal mit dem Satz zusammen, der da vor dem Doppelpunkt steht? Ist die Aussage „es müsse erlaubt sein Integrationsprobleme anzusprechen“ eine Bitte um Erlaubnis sich öffentlich „rassistisch, widerwärtig und primitiv“ zu äußern? Ich bin verwirrt. Jemand erkläre mir diese Konstellation.

„Die öffentlichen Talkshows wären ohne die permanente Infragestellung von Minderheiten und ihrer angeblichen Integrationsfähigkeit aufgeschmissen.“

Man fragt sich wie viele Diskussionen bereits über die Integrationsfähigkeit von Homosexuellen oder Menschen mit Halsrippen stattgefunden haben, aber ich persönlich erinnere mich konkret an keine. Aber vielleicht soll dieses Statement auch nicht akkurat sein und stattdessen einfach nur die Empörung hochtreiben, indem es versucht die größere und heterogenere Gruppe „Minderheiten“ anstatt der Gruppe von Personen mit Migrationshintergrund anzuführen und so vortäuscht, dass es eine übermäßige Generalisierung gegeben hat. Oder die Autorin ist grauenhaft darin sich auszudrücken.

„Wenn Politiker hier in Deutschland glauben, dass man den rechtsextremen und autoritätssehnsüchtigen AfD-Wählern und Pegida-Mitmarschierern offiziell erlauben müsse,“

Warum kriegen wir für das „offiziell erlauben“ keine Quelle oder Erklärung? Ich wüsste nämlich wirklich gerne wer das gesagt haben soll.

„auch mal politisch inkorrekt sein zu dürfen – was immer damit gemeint sei – ,“

Es bedeutet, wie ich mit meinen massiven Talenten im Bereich Dechiffrierung entschlüsseln konnte, nicht politisch korrekt zu sein, ohne das man dafür einen Schwarm irrer Harpyien an den Hals bekommt, die versuchen die eigene Position aus Prinzip anstatt aus rationalem Anlass zu untergraben.

„damit die wieder CDU, SPD oder Grüne wählen, dann haben sie nicht verstanden, dass die Grenzen des Sagbaren schon längst, schon ganz längst überschritten sind.“

Non-sequitur. Dass die „Grenzen des Sagbaren“ überschritten sind ändert nichts daran, dass es eine versuchte Methode ist Wähler zurückzubekommen, denn der Zweck ist ja nicht die Leute daran zu hindern obszön zu werden. Da gibt es andere Bemühungen, aber damit haben die Wahlen nichts zu tun. Abgesehen davon wäre ja auch die Option möglich, dass es nicht um die Rückgewinnung sondern um das Wählerleck geht, welches damit gestopft werden soll.

„Mutig wäre es, wenn einer auf den Tisch hauen und sagen würde:“

Wie in diesem Artikel? Seht, ich vertrete die aus meiner Sicht korrekte Haltung von vor meinem Computer, bewundert meinen Heroismus.

„Schluss mit dem ekelhaften, dummen und unaufgeklärten Geschwätz über die Fremden, die Ausländer, Schwulen, Muslime oder Flüchtlinge.“

Hier ein neuer Teil aus unserer beliebten Reihe „Die Deutschen verstehen die Aufklärung nicht“ aus dem Verlagshaus Derp-aton. Mir fällt hier gerade auf; man weiß nicht was „politisch inkorrekt“ bedeutet, aber man kann immer noch sagen es sei ekelhaft, dumm und „unaufgeklärt“.

„Das würde Eindruck machen!“

Es zeichnet die Autorin, dass sie nicht versteht, dass das schlecht wäre.

„Unserem Land fehlt der Mut für Aufklärung, Anstand und Eleganz im Umgang mit Mitmenschen.“

Der nächste Teil ist auch schon raus, Derp-aton liefert frei Haus. Offengestanden weiß ich gar nicht ob Sie vom Zeitalter der Vernunft redet, welches ich meine oder einfach meint es sei etwas gutes jemanden wortwörtlich über etwas aufzuklären, selbst wenn die Klärung möglicherweise Schwachsinn wäre. Zum Anstand komme ich dann noch und was Eleganz angeht, würde ich mit der Sprache anfangen. Mit ihrer Sprache.

„Es ist nämlich eine Ehre,“

Man sollte sich geehrt fühlen unserer Auffassung zu folgen.

„in Sprache und Handeln politisch, ökonomisch, sozial und einfach menschlich korrekt zu sein.“

Menschlich korrekt zu sein bedeutet, wenn wir uns die Geschichte mal anschauen, dass wir uns gegenseitig aufgrund von Meinungsverschiedenheiten umbringen und versklaven sollten. Historisch gesehen ist Nordkorea menschlicher als was auch immer dieser Artikel darstellt.

Fazit: Dieser Artikel war eine lange Aneinanderreihung von schlecht gemachten Zitaten, ideologischem Narzissmus und endlosem Moralismus. Es ist eine implizite, aber darum nicht weniger gnadenlose Selbstbeweihräucherung. Anstand war einer der Begriffe, die mehrmals fielen und ich würde gerne mal nochmal darauf speziell eingehen. Anstand bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass man sich einem bestimmten moralischen/ethischen, vielleicht noch eher sittlichen Standard nach orientiere. In anderen Worten, wenn die Autorin sagen würde, denn sie sagt es nicht geradeheraus, sie ist anständig, weil sie diese Standards vertritt, bedeutet das nichts anderes als „Ich handle moralisch weil ich der von mir proklamierten Moral folge“. Und sie kritisiert mit schön viel Überheblichkeit diejenigen, die das Reinheitsgebot nicht einhalten. Da ist der Puritanismus. Auch wenn die Definition von Political Correctness, die ich benutze anders ist, als die, welche die Autorin nutzt, kann ich immer noch sagen, dass es nur „meine“ Definition zu sein scheint, die auf sie zutrifft. Gewürzt ist der Artikel mit einem gehörigen Mangel an Grundverständnis der Probleme der Gegenseite, was nochmal zurückgeht auf den ideologischen und vielleicht einen tatsächlichen Narzissmus und den Mangel an kritischer Selbstreflektion. Viel zu viel (schlechte) Rhetorik, keine brauchbaren Argumente, zu viel Verlass auf die Richtigkeit der eigenen Position, zu viel Verlass auf Identity Politics als Basis des „Antirassismus“, kein Verständnis des Aufklärungsdenkens, fragwürdige und unklare Definitionen, schlecht geschrieben, überheblich…

TL;DR: Dieser Artikel war die Krätze. Cheers.

HASSkommentare auf Youtube

Gestern habe ich relativ spontan eine kurze Besprechung von drei Kommentaren vorgenommen, die vor einiger Zeit unter einem meiner Youtube-Videos gepostet wurden. Herausgekommen ist ein ca. 30 Minuten langer Monolog, frei gesprochen und mit vielen gedanklichen Abzweigungen. Trotzdem sind da vielleicht einige interessante Ausführungen dabei und daher möchte ich euch diesen Rant nicht vorenthalten. Viel Spaß!

Musik für Sexisten

Eigentlich möchte man meinen, dass es auch in Zeiten der gegenderten Wissenschaft, sexistischer Videospiele und Geschlechterdiskriminierung an der Ladentheke zumindest eine handvoll an Themen geben muss, welche nicht dem Vorwurf des Sexismus und der Frauenfeindlichkeit anheimfallen. Doch schließlich sprach einst Popkultur-Kritikerin Anita Sarkeesian wie der Prophet vom Berge zu uns: Everything is sexist, everything is racist. Und frei nach diesem Motto agiert auch die Schweizer Frauenzeitschrift annabelle und nimmt sich in einem Artikel den „Sexismus in der Musikbranche“ vor.

Zu Beginn stellt Autorin Miriam Suter folgende Fragen:

Wo sind eigentlich die Frauen auf den grossen Bühnen? Diese Frage beschäftigt mich schon lange. Und warum scheint es für Musikerinnen im Allgemeinen schwieriger zu sein, Erfolg zu haben?

Doch bevor wir zum Inhalt der „Analyse“ von Frau Suter kommen, möchte ich einen kurzen Abstecher in das Reich der anekdotischen Evidenz vornehmen: Als langjähriger Hobbymusiker und ehemaliges Mitglied mehrerer Musik- und Bandprojekte ist mir persönlich die „Musikbranche“ in vielen Teilaspekten durchaus vertraut. Bereits in den Anfangsjahren meiner musikalischen Tätigkeit ist mir aufgefallen, dass bei der Suche nach passenden Mitmusikern die Auswahl weiblicher Teilnehmer signifikant geringer war als die Anzahl männlicher Optionen. Vor allem für das typische Schema Unterhaltungsmusik, mit Schlagzeug, E-Gitarre, E-Bass und Gesang, fanden sich meistens nur für Letzteres Musikerinnen, während sich für die drei bis vier übrigen Instrumente oftmals ausschließlich die Herren der Schöpfung auftrieben ließen. In meiner jungen Naivität hörte meine Verwunderung darüber jedoch schnell wieder auf und mir genügte die selber hergeleitete Erklärung, dass sich dieses Ungleichgewicht durch unterschiedliche Interessen und Vorlieben zwischen Männern und Frauen erklären lässt.

Oh, wie ungebildet ich doch war! Hätte ich nur damals schon die Gelegenheit bekommen mich darüber belehren zu lassen, dass die primären Gründe für diese ungleiche Geschlechterverteilung natürlich nur eins sein können: Sexismus und Frauenfeindlichkeit.

In diesem Sinne belehrt daher auch Frau Suter einen nicht namentlich genannten Bekannten in ihrem Artikel über dieses „Sexismusproblem“:

It’s a Man’s World

„Was ist denn dein Problem, Frauen sind ja momentan in den Charts sehr gut vertreten“, meinte letztens ein Bekannter zu mir. Das mag stimmen. Aber diese Tatsache verstärkt eigentlich meine Frage: Warum sind sie dann beispielsweise an den Festivals nicht ebenso sichtbar? Fest steht: Die Musikwelt ist eine Männerdomäne. An den diesjährigen Musikfestivals in der Schweiz siehts jedenfalls grösstenteils mau aus mit dem Frauenanteil. Am Open-Air St. Gallen treten 42 Acts auf, darunter 14 Frauen – solo, als Teil einer Band oder als DJ. Am Zürich Openair steht zwar noch nicht das ganze Programm, der aktuelle Stand ist aber dennoch ernüchternd: Unter den 16 bestätigten Acts sind 2 Frauen. Nicht ganz so gravierend, aber ähnlich sieht es nach aktuellem Stand der bestätigten Acts am Gurtenfestival aus: Unter den 51 auftretenden Bands findet man elf Frauen.

Mein naives, jüngeres Ich möchte jetzt antworten: „Na ja, wenn im Durchschnitt weniger Frauen zu Schlagzeug, E-Gitarre und E-Bass greifen, dann muss doch allein dadurch schon ein quantitativer Unterschied entstehen, welcher sich natürlich auch in der Anzahl an Frauen auf Festivalbühnen niederschlägt“. Besonders dann, wenn die erwähnten Festivals mehrheitlich Bands einladen, die diesem Schema der Instrumentenverteilung folgen.

Das findet auch Philippe Cornu, der im nächsten Absatz zu Wort kommt:

Philippe Cornu bucht die Bands fürs Gurtenfestival und sagt: „Es gibt unbestritten weniger Musikerinnen als Musiker, die E-Gitarre, Schlagzeug oder Bass spielen. Gesang und Keyboards sowie Saxofon sind unter den Frauen eher verbreitet.“

Und er fügt hinzu:

„Wir achten im Bookingprozess nicht zwingend auf das Geschlecht, sondern darauf, welche Band, Musikerin oder Musiker gefällt, passt und auch auf Tour ist.“

Etwas schwammiger ist dann jedoch seine Erklärung dafür, warum weniger Frauen zu den genannten Instrumenten greifen:

„Warum dies so ist, hat geschichtliche Hintergründe in der gesellschaftlichen Entwicklung und der Stellung der Frau.“

Dass z.B. restriktive Geschlechterrollen in der Vergangenheit Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon abgehalten haben eine Musikerkarriere ins Auge zu fassen, wodurch auch das Erlernen eines Instruments obsolet wurde, ist kaum abzustreiten (Nachtrag: Das galt zumindest für Frauen, die nicht Teil des gehobenen Bürgertums waren; siehe Hausmusik). Ähnliches sollte jedoch auch für Männer gegolten haben, denn die kostengünstige Massenproduktion von Musikinstrumenten, sowie die Möglichkeiten der analogen und digitalen Tonaufnahme sind erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Realität geworden. Die Anzahl der Instrumentalisten sollte sich vor dieser Zeit also stark in Grenzen gehalten haben, da nur für wenige überhaupt die finanziellen Möglichkeiten und Erfolgsaussichten bestanden einen solchen Karriereweg einzuschlagen. Ganz zu Schweigen davon, dass die besagten Instrumente (Schlagzeug, E-Gitarre und E-Bass) in ihrer heute noch gebräuchlichen Form erst im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt wurden. Es können daher maximal die letzten 80 Jahre der „geschichtlichen Hintergründe in der gesellschaftlichen Entwicklung“ als Erklärung für das Geschlechterungleichgewicht herangezogen werden.

Insofern sich diese Argumentation als korrekt erweist, sollten wir außerdem Veränderungen dieses Ungleichgewichts finden; im besten Fall korreliert mit den Veränderungen der gesellschaftlichen Stellung der Frau. Wenn man sich allerdings die spärliche wissenschaftliche Literatur über dieses Thema anschaut, wird man überrascht. So schreibt Hal Abeles in seiner Publikation „Are Musical Instrument Gender Associations Changing?“ folgendes:

A comparison of the instruments played by boys and girls across three studies conducted in 1978, 1993, and 2007 showed little difference in the sex-by-instrument distribution. Girls played predominately flutes, violins, and clarinets, and most boys played drums, trumpets, and trombones.

Hier kommen wir also nicht weiter. Die empirischen Daten zeigen keine Veränderung der Präferenzen von Jungen und Mädchen bei der Wahl der Musikinstrumente. Realitätsferne Naturen könnten jetzt einwerfen: „Das liegt natürlich daran, dass sich auch die Stellung der Frau innerhalb der letzten 40 Jahre nicht verbessert hat!“. Und wer hätte es gedacht, in genau diese Kerbe schlägt auch der weitere Verlauf von Frau Suters Artikel:

Auch Fabienne Schmuki, Co-Geschäftsführerin der Zürcher Indie-Musikagentur Irascible Music, Kommissionsmitglied beim Popkredit der Stadt Zürich und Gründungsmitglied vom Musikverband Indie Suisse, findet: „Die Musikwelt ist eine Welt der Männer. In den Führungsetagen der grossen Schweizer Musiklabels gibt es kaum Frauen, wir besetzen vor allem die Positionen im Marketing oder der Kommunikation.“ Sie selbst hätten beim Berufseinstieg keine weiblichen Vorbilder gehabt. Schmuki hat, wie sie selbst sagt, eine „Männerschule“ genossen: „Ich arbeite viel mit Männern zusammen. Der Umgangston ist schon anders, rau, die Witze sind dreckiger. Aber wenn man damit keine Probleme hat, kann man sich in diesem Männerverein gut behaupten.“

[Hervorhebung nicht im Original]

Interessant ist hierbei nicht nur die Implikation, dass Frauen vermeintlich aufgrund von Geschlechterdiskriminierung seltener in den Führungsetagen großer Musiklabels sitzen. Nein, nicht nur das. Logischerweise ist diese fehlende weibliche Repräsentation in den Führungsetagen der Musiklabels auch der Grund dafür, warum Frauen weniger Interesse daran haben Schlagzeug, E-Gitarre und E-Bass zu spielen. Oder soll hier angedeutet werden, dass Musikgruppen sich auf Bestreben der Labels zusammenfinden und sozusagen „gecastet“ werden? Anderweitig lässt es sich mir zumindest nicht erklären, wie man diesen Zusammenhang herstellen kann. Sicherlich gibt es den stereotypen Fall der gecasteten Boy- oder Girlgroup. Die Mehrheit von Bands findet sich jedoch sehr oft vor dem Angebot eines Vertrags durch ein Label zusammen und ist bis zu diesem Zeitpunkt schon eine lange Zeit nicht-professionell aktiv.

Diese abstruse Mischung aus verdrehten Kausalitäten und anekdotischen Erzählungen setzt sich munter fort:

Eine Frau, die in ihrem Leben schon auf vielen Bühnen gestanden ist, ist Salome Buser. Sie spielt Bass in der Schweizer Bluesband Stiller Has. „Mir passiert es öfter, dass ich an meinen eigenen Konzerten nicht in den Backstage-Bereich gelassen werde, weil man mir nicht glaubt, dass ich zur Band gehöre“, erzählt sie. „Man sagt mir dann, ich sei doch nur ein Groupie, das reiche halt nicht, um hinter die Bühne zu kommen.“

[…]

Buser fügt an: „Vielleicht liegt es daran, dass generell weniger Instrumentalistinnen auf der Bühne stehen und wir deshalb nicht so stark als Musikerinnen wahrgenommen werden. Sondern in erster Linie als Frauen, die sich zuerst einmal beweisen müssen.“

Ein Abschnitt ließ mich dann doch laut auflachen:

Bleibt einer Musikerin also als einziger Ausweg, ihr Instrument in die Ecke zu stellen und ausschliesslich zu singen, um respektiert zu werden? Dass auch das keine Lösung ist, bestätigt die Schweizer Singer-Songwriterin Sophie Hunger: „Das Musikbusiness in der Schweiz ist sehr männerdominiert. Da hört man schnell mal: Komm Schatz, sing du, ich mach das hier mit den komischen Knöpfen!“

[Hervorhebung nicht im Original]

Ja, genau. Die Rollen in einer Band werden natürlich nach dem Geschlecht verteilt und nicht danach wer welches Instrument spielen kann oder wer eine ausgebildete Gesangsstimme besitzt.

Abschließend führt Frau Suter natürlich den heiligen Gral der Problemlösungen an und dieser lautet: Frauenförderung.

Die Hoffnung stirbt nicht

Eins ist klar: Mit dafür verantwortlich, dass es in der Schweiz weniger bekannte Musikerinnen als Musiker gibt, sind die fehlenden weiblichen Vorbilder. Und weniger Frauen auf den Bühnen bedeutet weniger Nachahmerinnen – ein Teufelskreis. Eine mögliche Lösung des Problems sieht Sibill Urweider in der ausgeglichenen musikalischen Förderung von Mädchen und Buben, um die Chancengleichheit bereits im Kindesalter voranzutreiben.

Schon im Kindesalter? Leider wird nicht näher spezifiziert, ab welchem Alter diese „ausgeglichene musikalische Förderung“ beginnen soll. Gehen wir aber einmal davon aus, dass der hier implizierte Zusammenhang korrekt ist und gesellschaftliche Normen dafür sorgen, dass Mädchen und Jungen schon im Kindesalter eine Vorstellung davon entwickeln, welche Instrumente von Frauen und welche von Männern gespielt werden sollten. Finden wir darüber Informationen in der empirischen Forschung?

Tatsächlich lassen sich Studien auffinden, die bereits in dreijährigen Kindern klare Geschlechterpräferenzen für bestimmte Instrumentengruppen aufzeigen. Die Autoren Marshall und Shibazaki schreiben in ihrem Artikel „Two studies of musical style sensitivity with children in early years“ dazu folgendes:

Results of the study suggested that even three-year-old children were able to make accurate discriminations between musical styles through the use of a broad range of referential criteria and also, we observed that a number of ‘person type’ and gender associations already appeared to be present in the attitudes and experiences of participants.

Und in einer zwei Jahre später erschienenen Studie mit dem Titel „Gender associations for musical instruments in nursery children: the effect of sound and image“ bestätigen die beiden Autoren ihre Ergebnisse. Die drei bis vier Jahre alten Kinder wurden unter zwei Bedingungen getestet: Zuerst wurden ihnen die Instrumente vorgespielt und ein Bild des jeweiligen Instruments gezeigt. In der zweiten  Bedingung bekamen die Kinder nur die Töne des Instruments zu hören.

Our current study explores the gender associations which very young children, many of whom have spent only a few months within the school system, have towards musical sounds and how these attitudes may be affected by the addition of an attendant image.

[…]

However, taken together, the results of this research appear to suggest that some form of association between very young children and the gender of individual instruments and musical styles already appears to exist in the very early stages of their educational life.

[Hervorhebung nicht im Original]

Die Kinder in dieser Studie zeigten nicht nur eine klare Geschlechterpräferenz, wenn sie die entsprechenden Instrumente sehen konnten und vorgespielt bekamen. Wurde den Kindern nur das Instrument vorgespielt, so drehte sich das Bild in die andere Richtung:

2

Eine Beeinflussung der Geschlechterpräferenzen für bestimmte Instrumente durch vorherrschende gesellschaftliche Normen und Geschlechterrollen lässt sich mit diesen Ergebnissen nicht stützen und ist daher (zumindest in diesem jungen Alter) als unwahrscheinlich einzuschätzen. Es sei denn man möchte argumentieren, dass es ein Bestandteil gesellschaftlicher Normen ist, akustische Wahrnehmungen als weiblich und optische Wahrnehmungen als männlich einzustufen.

Zusätzlich schreiben die Autoren:

Most recently, Hallam, Rogers, and Creech (2008) reported that many of the historical patterns of gender-associated instruments were still in evidence with pupils freely opting for the gendered instruments at all stages of education, and Abeles (2009), reflecting on the intervening 30 or so years since his initial studies, concluded that only limited changes had occurred in schools with certain instruments still being strongly associated with one particular gender.

[Hervorhebung nicht im Original]

In einem letzten Test konnten die Kinder dann wählen, für welche Instrumente sie sich selbst entscheiden würden. Hier ergab sich wieder die eindeutige Geschlechterpräferenz, die sich seit Jahrzehnten beobachten lässt.

3

Das junge Alter in dem die Geschlechterpräferenzen auftreten, die Konstanz mit der sich diese Präferenzen seit Jahrzehnten trotz gesellschaftlicher Veränderungen halten und die unterschiedlichen Rollenzuschreibungen bei entweder ausschließlich akustischen Reizen oder einer Kombination aus optischen und akustischen Reizen: Das alles weist auf biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern hin, die einen noch nicht näher bekannten Einfluss auf die Präferenz von Musikinstrumenten haben.

In jeder Publikation, die ich für diesen Artikel gelesen habe, wird erwähnt, dass dieses Phänomen noch viel zu wenig untersucht und daher weitere Forschung anzuraten ist. Umso überraschter war ich jedoch, dass in keiner dieser Publikationen auch nur angedeutet wird, dass die Ursachen dafür in Geschlechtsdimorphismen begründet sein könnten. Dieses Phänomen ist also auch ein Musterbeispiel dafür, wie sich Wissenschaftler der Interdisziplinarität verweigern können und stattdessen lieber weiter im Dunkeln herumfischen, anstatt einen Schritt zurückzugehen um das Gesamtbild zu betrachten.

Oder man macht es einfach wie Frau Suter und die Zeitschrift annabelle. Bietet schließlich auch die simpleren Lösungen.

Laut und dämlich – No Hate Speech.de

Hate Speech (dt. Hassrede). Dieser Begriff geistert bereits seit einigen Jahren durch die angloamerikanische Online- und Offlinesphäre. Bezeichnet wird damit oft ein Spektrum verschiedenartiger, als grenzüberschreitend wahrgenommener, verbaler Äußerungen. Die Breite dieses Spektrums reicht von gezielten Belästigungen von Einzelpersonen, bis hin zum Trollen (über dessen „Gefahr“ sich sicherlich ausgiebig streiten lässt) und vollkommen legitimer, aber unerwünschter Kritik. Auffallend hierbei: Auf eine eindeutige Definition wird (vermutlich bewusst) verzichtet. Ein nicht zu vernachlässigender Punkt, denn schließlich kann der Vorwurf der Verwendung von Hate Speech im schlimmsten Fall vor Gericht enden.

Und wie fast jeder neue, hippe „Trend“ schwappt natürlich auch die No Hate Speech-Bewegung über den großen Teich nach Europa. Die Akteure innerhalb dieser Bewegung haben jedoch den Vorteil, dass sie aus den Fehlern ihrer amerikanischen Kollegen und Kolleginnen lernen können. Denn während sich in den USA ein massiver Widerstand gegen diese offen zur Schau gestellte Bevormundung bilden konnte, verläuft der Prozess in Deutschland und anderen europäischen Staaten deutlich subtiler. Anstatt öffentlich auf die Barrikaden zu gehen und laut mit dem digitalen oder analogen Megaphon die eigene Überzeugung und den Wunsch für eine Schere im Kopf herauszuposaunen, wird hierzulande der Weg über die staatlichen Institutionen gegangen. Natürlich inklusive staatlicher Förderung und Fürsprache durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

No Hate Speech Movement nennt sich also reichlich unkreativ der deutsche/europäische Ableger dieser Kampagne für eine „saubere Sprache“ im Netz. Wie schon erwähnt finden sich beunruhigend viele Förderer für diese Kampagne auf der Webseite von No Hate Speech.de:

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Bei dieser „starken“ Unterstützung sollte man doch zumindest erwarten können, dass man einen konkreten Plan dafür hat, was man denn eigentlich mit einer solchen Kampagne erreichen möchte. Startpunkt dafür wäre, dass man zuerst einmal klar definiert, was denn eigentlich Hate Speech ist und anschließend belegt, dass diese negative Auswirkungen besitzt und in einer so signifikanten Häufigkeit vorkommt, dass damit eine Aufklärungs- und Präventionskampagne gerechtfertigt ist.

Beginnen wir ganz vorne: Was ist eigentlich Hate Speech bzw. wie ist diese definiert? No Hate Speech hat dafür folgende Erklärung parat:

Definitionen von Hate Speech

Es gibt keine einheitliche Definition von Hate Speech, weder in Deutschland noch international. Im Gesetzbuch wird Hate Speech (noch) nicht spezifisch erwähnt – verurteilt werden Beleidigungen oder Volksverhetzung. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass online haten erlaubt ist…, falls jemand auf die Idee käme.

Oh. Keine einheitliche Definition also. Na das kann ja heiter werden.

Es folgen zwei Verweise. Zum einen auf die Definition von Hate Speech durch den Europarat, welche breiter und schwammiger nicht sein könnte:

Hate speech for the purpose of the Recommendation entails the use of one or more particular forms of expression –namely, the advocacy, promotion or incitement  of  the  denigration,  hatred  or  vilification  of  a  person  or  group  of persons, as well    any harassment, insult, negative stereotyping, stigmatization or threat of such person or persons and any justification of all these  forms of  expression –that  is  based  on  a  non-exhaustive  list  of personal  characteristics  or  status  that  includes  “race”,  colour,  language, religion  or  belief,  nationality  or  national  or  ethnic  origin,  as  well  as  descent, age, disability, sex, gender, gender identity and sexual orientation.

Also quasi alles was in irgendeiner Weise negativ oder als beleidigend aufgefasst werden könnte.

Zum anderen folgt ein Verweis auf die Amadeu Antonio Stiftung. Diese versucht den Begriff Hate Speech aus „politischer und sprachwissenschaftlicher Sicht zu beschreiben“ sowie die „rechtliche Einordnung des Begriffs Hate Speech zu erklären“. Wer sich diese „Versuche“ antun möchte, der kann diese hier und hier nachlesen. Anstatt jedoch eine klare Definition für Hate Speech zu liefern, werden hier nur noch mehr Variablen in die Bewertung von sprachlichen Äußerungen integriert. So ist es z.B. vermeintlich relevant, ob die Äußerungen von privilegierten oder nicht-privilegierten Personen stammen:

Was Hate Speech ist, ist umstritten

Dass es innerhalb einer Sprachgemeinschaft unterschiedliche Meinungen darüber geben kann, ob ein bestimmter Ausdruck als Hassrede gilt oder nicht, ist selbst dort nicht überraschend, wo alle Beteiligten aufrichtig Position beziehen: Mitglieder einer privilegierten Gruppe empfinden einen sprachlichen Ausdruck häufig deshalb nicht als herabwürdigend/ verunglimpfend, weil er sich nicht gegen sie, sondern eben gegen eine (möglicherweise sogar unbewusst) als von der angenommenen Norm abweichende Gruppe richtet. […]

Inwieweit die „Privilegien“ einer Person bestimmt werden können und inwiefern diese in einem anonymen Online-Meinungsaustausch überhaupt von den Beteiligten erkannt werden können, bleibt natürlich offen.

Wir können also feststellen: Eine Definition von Hate Speech findet bisher nicht statt. Damit wird eigentlich auch alles weitere obsolet, aber lassen wir uns doch den Spaß nicht nehmen und schauen uns einmal die „Daten“ an, mit denen No Hate Speech zeigen möchte, dass Hassrede ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt gegen das Stellung bezogen werden muss.

Wie groß ist das Problem eigentlich?

Es ist schwierig, das genau zu sagen. Denn Hate Speech hat viele verschiedene Facetten und nicht alles kann dokumentiert werden. Drei ausgewählte Beispiele zeigen, wie häufig Hasskommentare sind und wer davon betroffen ist.

2015 hat der Europarat (Abteilung Jugend) eine Online-Meinungsumfrage gemacht: 83% der Befragten gaben an, dass sie online Erfahrungen mit Hate Speech gemacht haben. LGBTI-Jugendliche, Muslim*innen und Frauen waren die drei Haupt-Zielgruppen der Hasskommentare.

Rechtsextreme nutzen das Internet und Soziale Medien, um ihre Propaganda zu verbreiten und Anhänger*innen für ihre Ideologie zu gewinnen. Jugendschutz.net beobachtet diese Strategie und veröffentlicht die Ergebnisse jährlich im Bericht „Rechtsextremismus online“.

Die britische Zeitung The Guardian hat 70 Millionen Kommentare untersuchen lassen, die seit 2006 auf ihrer Website hinterlassen wurden. Das Ergebnis: Von den zehn am stärksten von Hate Speech betroffenen Autor*innen waren acht Frauen und nur zwei Männer, sie sind beide schwarz.

Erneutes Abwiegeln. Man kann das ja alles nicht so genau sagen. Dann folgen drei Beispiele, die jedoch nicht das intendierte Ergebnis zur Folge haben, sondern eher die Frage in den Raum stellen, ob man denn nichts Handfestes zum Vorzeigen hat.

Auf das Thema „Rechtsextreme“ möchte ich nicht weiter eingehen, da es hier meiner Meinung nach vollkommen gerechtfertigt ist eine Beobachtung potenzieller, volksverhetzender Aussagen vorzunehmen und diese an die entsprechenden staatlichen Organe weiterzuleiten. Warum hier jedoch „Rechtsextreme“ Äußerungen mit anderen unerwünschten Aussagen unter dem Schirm der Hate Speech zusammengefasst und gleichgesetzt werden, bleibt unklar, lässt aber tief blicken.

Auf die „Untersuchung“ des Guardian  möchte ich ebenfalls nur kurz eingehen: Die Methodik, mit der die 70 Millionen Kommentare ausgewertet wurden, ist grundsätzlich fehlerhaft. Das lässt sich aus folgendem Zitat aus der Methodenerklärung des Guardian zur Untersuchung entnehmen:

In our analysis we took blocked comments as an indicator of abuse and/or disruption. Although mistakes sometimes happen in decisions to block or not block, we felt the data set was large enough to give us confidence in the findings.

Wie unter anderem vielfach in den Kommentaren unterhalb des Artikels erwähnt wird, ist diese Form der Datenerhebung unzulässig, da die Moderatoren keinen objektiven Blockkriterien folgten, sondern „aus dem Bauch heraus“ entschieden, ob ein Kommentar zulässig oder unzulässig ist. Zusätzlich gibt es unzählige Beschwerden darüber, dass Kommentare geblockt wurden, die in keiner Weise „abusive“ oder „disruptive“ waren und ausschließlich legitime Kritik enthielten. Für einen potenziellen Bias der Moderatoren wurde also nicht kontrolliert und aus diesem Grund ist auch die gewaltige Datengrundlage von 70 Millionen Kommentaren unbrauchbar.

Kommen wir also zur Online-Meinungsumfrage des Europarats: Was hier zusammengetragen wird kann man eigentlich nur als einen schlechten Witz bezeichnen. Zum einen sind online durchgeführte Umfragen in der Mehrheit der Fälle als qualitativ sehr schlecht einzuschätzen, da keine Kontrolle darüber existiert ob die Befragten auch wirklich nur einmal teilgenommen haben und ob die Antworten der Teilnehmer überhaupt als authentisch eingeschätzt werden können. Zum anderen haben Online-Umfragen noch stärker mit dem sogenannten Selbstselektions-Bias zu kämpfen, als z.B. Telefonumfragen oder persönliche Gespräche mit einem Interviewer. Es gibt keine Kontrolle darüber, wer  überhaupt an der Umfrage teilnimmt und somit kann die Stichprobe nicht als Zufallsstichprobe angesehen werden. Dass die Auswahl der Stichprobe zufällig erfolgt, ist aber eines der wichtigsten Gütekriterien bei der Einschätzung darüber, ob es sich um eine repräsentative Umfrage handelt. Ein kurzer Blick auf die deskriptiven Daten der Stichprobe zeigt: Junge (d.h. unter 30 Jahren), weibliche Studenten sind massiv überrepräsentiert.

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(Ich entschuldige mich für die schlechte Qualität der Abbildungen. Leider gibt die Quelle nicht mehr her.)

Die Daten sind also als nicht-repräsentativ für die Gesamtbevölkerung einzuschätzen und die Aussagekraft der Umfrage sinkt somit gegen Null. Witzig jedoch: Auf die Frage, ob die Teilnehmer der Umfrage sich durch Online Hate Speech jemals bedroht oder angegriffen/beleidigt gefühlt haben, antwortet die Mehrheit (63,5%) mit „Nein“.

Im Zusammenhang mit dieser Umfrage möchte ich auch noch auf den Blogartikel von stefanolix verweisen, der sich mit einer ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2012 beschäftigt hat und vergleichbare Probleme bei der Stichprobe findet.

Der Berg voller Bullshit wächst und wächst, und hier noch tiefer zu graben würde vermutlich einem kompletten Verfall zum Wahn gleichkommen. Aber es ist wie ein Motorradunfall: Man kann nicht wegschauen, so sehr man es auch möchte. Weiter geht es also auf der Webseite von No Hate Speech:

Was ist Cybermobbing?

Cybermobbing findet nicht auf dem Schulhof, sondern im Internet statt. Allerdings sind die Opfer nicht nur Schüler*innen, sondern ganz allgemein gesagt: User*innen, die über längere Zeit belästigt, beleidigt, bedroht oder bloßgestellt werden. Wer von Cybermobbing betroffen ist oder mitbekommt, dass jemand gemobbt wird, kann sich wehren oder Betroffene unterstützen. Der „klicksafe-Tipp“ erklärt Schritt für Schritt wie.

Das „Bündnis gegen Cybermobbing“ hat in einer Studie herausgefunden, dass mittlerweile immer mehr Erwachsene im Netz gemobbt werden, meistens übrigens Frauen.

Aus unerklärlichen Gründen führt man auf dem Abschnitt „Wissen“ der No Hate Speech Webseite zusätzlich auch noch den Begriff des Cybermobbing ein. Inwieweit ein Zusammenhang zwischen Online Hate Speech und Cybermobbing besteht, bleibt jedoch ebenfalls unklar. Aber netterweise wird auf eine Studie des „Bündnis gegen Cybermobbing“ verwiesen, mit dem Zusatz, dass eines der Ergebnisse dieser Studie besagt, dass immer mehr erwachsene Frauen im Netz gemobbt werden, d.h. von Cybermobbing betroffen sind. Schauen wir uns dafür doch einmal Abbildung 5 aus der besagten Studie an:

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Interessant ist hier vor allem, dass sich die Studie nicht nur mit Cybermobbing befasst, sondern auch gleichzeitig Daten über das Vorkommen von Mobbing erhebt. Die relativen Anteile der Betroffenen geben bereits erste Hinweise darauf, was die Gründe dafür sein könnten. War den Autoren bereits vorher klar, dass nur ein extrem geringer Anteil der Befragten überhaupt von Cybermobbing betroffen ist?

Aber zurück zu den Daten: 7,6% der männlichen Befragten und 8,3% der weiblichen Befragten sind betroffen. Eine Frage die sich mir hier sofort stellt ist: Haben die Autoren der Studie schon einmal etwas von Inferenzstatistik gehört? Warum wird hier nicht einmal der Versuch unternommen mit statistischen Messverfahren zu untersuchen, ob die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen (Männer vs. Frauen) nicht nur zufällig durch die Wahl der Stichprobe entstanden sind? Vielleicht wenigstens einmal einen t-Test anwenden? Das wäre wohl zu viel verlangt.

No Hate Speech zieht also die Frauenkarte, obwohl diese Aussage nicht von den Daten der Studie gestützt wird. Ganz im Gegenteil: Die Verteilung der „Rollen“ ist zwischen den Geschlechtern sogar sehr ausgeglichen.

Gehen wir aber noch einmal einen weiteren Schritt zurück an den Anfang der Studie, dort wo wir auf die Wurzel allen Übels stoßen. Die Stichprobe ist (mal wieder) kompletter Murks:

Die  vorliegende  Studie  wurde  als  standardisierte  Onlinebefragung  konzipiert. Die  Erhebung erfolgte  in  der  Zeit  vom  11.  bis  24.  November  2013.  Die Grundgesamtheit  umfasste  alle Personen  in  der  Bundesrepublik  Deutschland,  die 18  Jahre  oder  älter  waren.  An  der  Erhebung beteiligten  sich  brutto 8.915 Personen.  Diese  Stichprobe  wurde  um  nicht  vollständig ausgefüllte Fragebögen und  nicht  plausible  Datensätze  bereinigt,  so  dass  sich  eine  Netto-Stichprobe  von 6.296 Fällen  ergibt.

Die  Stichprobe  verteilt  sich  fast  analog  zur  tatsächlichen  Bevölkerungsverteilung  auf  die  16 Bundesländer  bzw.  Stadtstaaten  (vgl.  Abb.  1). […] Die  Stichprobe  kann  daher  als  spezifisch  repräsentativ  bezeichnet  werden.  Die  Hälfte  der Stichprobe  weist  den  beruflichen  Status  eines  Angestellten  auf,  die  nächstgrößte  Gruppe sind Schüler, Studenten oder Personen in der Ausbildung (13%).

[Hervorhebung nicht im Original]

Die Stichprobe ist also spezifisch repräsentativ, weil die Verteilung der Stichprobe fast der tatsächlichen Bevölkerungsverteilung auf die Bundesländer gleicht? Da die Autoren nicht wirklich viel über die Verteilung des Vorkommens von Mobbing und Cybermobbing wissen können, muss eine Zufallsstichprobe gezogen werden um Repräsentativität zu gewährleisten. Der Verweis auf eine merkmalsspezifische Repräsentativität der Stichprobe ist nichts weiter als ein sprachlicher Trick um den Anschein einer höher-qualitativen Stichprobe zu erzeugen. Die Autoren konnten weder dafür kontrollieren, dass die Angaben der Befragten korrekt sind, noch ob es einen Selbstselektions-Bias gab. Studenten und Auszubildende sind erneut deutlich überrepräsentiert, während Arbeiter und Selbstständige deutlich unterrepräsentiert sind.

Gleiches gilt für die Altersverteilung und die Geschlechterverteilung:

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In der Stichprobe sind junge Frauen deutlich überrepräsentiert. Insgesamt lässt sich also der verwendeten Stichprobe keine Repräsentativität attestieren.

Es wird auch langsam klar warum eine Vermengung der zwei Begrifflichkeiten Mobbing und Cybermobbing vorgenommen wurde. Die Autoren schreiben in ihrem Fazit:

Die Ergebnisse sind erschreckend: Fast 30% geben an, schon einmal in irgendeiner Form Opfer von Mobbing oder Cybermobbing geworden zu sein.

Offenbar entsprachen die Daten über Cybermobbing nicht den Vorstellungen der Autoren. Hier musste also nachgeholfen werden, um die Gefährlichkeit und die Häufigkeit des Cybermobbing künstlich aufzublähen. Schließlich klingen 8% nicht ganz so eindrucksvoll wie 30%. Eine Taktik, die ich auf meinem Blog nicht zum ersten Mal aufgedeckt habe.

Fazit: Alles was nötig wäre um die Kampagne von No Hate Speech zu rechtfertigen fällt also bereits am Startblock flach auf den Boden. Weder wird der Begriff Hate Speech klar definiert, noch werden aussagekräftige, empirische Daten vorgebracht, welche die Gefährlichkeit und Häufigkeit von Hate Speech belegen könnten. Im Fall der Studie über Cybermobbing muss der Sachverhalt des Mobbing herangezogen werden, um das Vorkommen des Cybermobbing nach oben zu schrauben. Letztendlich versucht man sich mit dem Verweis auf scheinbar wissenschaftliche Studien selbst den Anschein von Wissenschaftlichkeit und Legitimation zu verleihen. Dieses Vorgehen ist unlauter und beschämend für die Verantwortlichen von No Hate Speech; und noch mehr für die staatlichen Förderer. Was diese aber vermutlich nicht sonderlich stört und damit den verabscheuungswürdigen Hintergrund der Kampagne No Hate Speech noch deutlicher offenbart.

Addendum: Christian Schmidt und Lucas Schoppe haben sich ebenfalls der No Hate Speech Kampagne gewidmet. Klare Leseempfehlung!

Statistik fälschen leicht gemacht

Nachdem gestern Thomas „The Boss“ Fischer in einem Nachtrag zu seiner Kolumne vom 28.06.2016 erneut den Boden mit „empörten Feministinnen“ aufgewischt hat, ist die am selben Tag erschienene Replik von Frau Stokowski etwas unter dem Radar geflogen. „Das ist doch eigentlich ganz positiv!“, mag jetzt der eine oder andere von sich geben und würde dafür auch zustimmendes Nicken erhalten. Ich möchte mich daher auch gar nicht sonderlich lange mit den Zeilen von Frau Stokowski aufhalten, sondern mich mit einer Studie beschäftigen, die sie in ihrem Artikel verlinkt.

Sie schreibt:

Es geht um eine Reform, die Feministinnen seit Langem fordern, die wegen der Istanbul-Konvention seit Jahren fällig ist und im Grundsatz fraktionsübergreifend befürwortet wird. Rückert findet das verheerend: „Das Intime gerät in Verdacht, das Schlafzimmer wird zum gefährlichen Ort.“ Gefährlich für diejenigen, die potenziell Täter oder Täterin werden könnten. Für potenzielle Opfer hingegen war das Schlafzimmer bisher schon „ein gefährlicher Ort“: Im Jahr 2004 gaben in einer repräsentativen Studie in Deutschland 25 Prozent der Frauen an, körperliche und/oder sexualisierte Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner erlebt zu haben. Längst nicht alle zeigen die Taten an. [Hervorhebung nicht im Original]

25% der Frauen, also jede Vierte, hat schon einmal körperliche und/oder sexualisierte Gewalt durch den Partner oder Ex-Partner erlebt? Das klingt ja ungeheuerlich. Und aus dem Grund habe ich mir die Studie Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland einmal etwas genauer angeschaut.

Aus meiner Sicht sind vor allem drei zentrale Fragen relevant: 1. Wie sind körperliche und/oder sexualisierte Gewalt definiert? 2. Mit welcher Methodik wurden die Daten erhoben? 3. Wie setzen sich die besagten 25% aus der Stichprobe zusammen?

1. Die Definition von körperlicher und sexualisierter Gewalt:

Die körperlichen Gewalthandlungen, die im Rahmen der Studie abgefragt wurden, umfas­sen ein breites Spektrum an Gewalthandlungen, von leichten Ohrfeigen und wütendem Wegschubsen über Werfen oder Schlagen mit Gegenständen bis hin zu Verprügeln, Wür­gen und Waffengewalt (vgl. Itemliste 1 im Anhang dieser Broschüre).

[…]

Im Vergleich zu den erfassten Handlungen körperlicher Gewalt bezogen sich die Items zu sexueller Gewalt auf einen engeren Gewaltbegriff, der ausschließlich strafrechtlich relevan­te Formen wie Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung und unterschiedliche Formen von sexueller Nötigung unter Anwendung von körperlichem Zwang oder Drohungen umfasste (vgl. Itemliste 2 im Anhang)

Fair enough, wie der Engländer sagen würde. Auch wenn ich ein ungutes Gefühl bei der Breite des Spektrums an erfassten Gewalthandlungen habe. Leichte Ohrfeigen und wütendes Wegschubsen werden mit Verprügeln, Würgen und Waffengewalt gleichgesetzt? Naja, dieser Faktor wird ganz bestimmt später in der deskriptiven Statistik berücksichtigt. Oder?

2. Die Methodik:

Die folgenden Überblicksdaten zur Gewaltbetroffenheit der Frauen seit dem 16. Lebensjahr beziehen sich bei körperlicher und sexueller Gewalt auf alle Angaben aus dem mündlichen und schriftlichen Fragebogenteil. Die Überblicksdaten zu sexueller Belästigung und zu psy­chischer Gewalt beziehen sich nur auf die Angaben im mündlichen Fragebogenteil, da zu diesen keine vergleichbaren Untersuchungsinstrumente im schriftlichen Teil vorliegen.

Eine Befragte galt als von einer Gewaltform betroffen, wenn sie in der Einstiegsfrage oder in der nachfolgenden Itemliste angab, mindestens eine der genannten Gewalthandlungen mindestens einmal in ihrem Erwachsenenleben erlebt zu haben; weitere Differenzierun­gen wurden dann anhand der nachfolgenden Angaben zu erlebter Gewalt vorgenommen. [Hervorhebung nicht im Original]

Natürlich wird dieser Faktor nicht berücksichtigt. Stattdessen reicht bereits der Umstand, dass eine Befragte irgendwann seit ihrem 16. Lebensjahr einmal „wütend geschubst“ wurde (welchen Mehrwert auch immer das Adjektiv dabei hat), um als „Opfer von Gewalt“ klassifiziert zu werden. Das dürfte wohl die beste Methode sein, um seine Zahlen inflationär aufzublähen. It’s not a bug, it’s a feature.

Und entsprechend sieht dann auch die erste Itemliste der mündlichen Befragung aus:

Studie_GewaltFrauenItemliste1

Beißen, Kratzen, Schubsen, Arm umdrehen auf der gleichen Stufe mit Verprügeln, Würgen, Verbrühen und Waffengewalt. Vermutlich sind unter dieser Definition 99% aller Menschen schon einmal „Opfer von Gewalt“ geworden, wenn sie auch nur eine öffentliche Schule besucht haben. Itemliste 2 ist komischerweise deutlich fokussierter und daher auch nachvollziehbarer:

Studie_GewaltFrauenItemliste2Mich dünkt, hier wurde in vollem Bewusstsein die Definition einer Gewaltform, nämlich der körperlichen Gewalt, so offen und breit wie möglich gestaltet, um noch einen Plan B in der Hinterhand zu halten, falls die erhobenen Daten am Ende nicht ins gewünschte Bild passen.

Da habe ich den Autoren aber dann doch zu viel „Anerkennung“ entgegenbringen wollen. Sie haben stattdessen einfach noch einen Fragebogen, mit einer eigenen Itemliste erstellt, um körperliche und sexuelle Gewalt in Paarbeziehungen zu erfragen:

Studie_GewaltFrauenItemliste4_1

Hm. Die Art und Weise der Befragung kommt mir irgendwie bekannt vor. Warum genau erfasst man hier nicht „ausschließlich strafrechtlich relevan­te Formen wie Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung und unterschiedliche Formen von sexueller Nötigung unter Anwendung von körperlichem Zwang oder Drohungen“, so wie in Fragebogen Nummer 2? Ein Schelm wer Böses dabei denkt.

3. Die Zusammensetzung der zitierten 25%:

Und tadaa, was sehen wir dann in der deskriptiven Statistik?

Studie_GewaltFrauenItemliste3

Sexuelle Gewalt allein kommt „nur“ auf 12% bzw. 13% wenn auch noch die Daten aus einem weiteren, schriftlichen Fragebogen mit einbezogen werden. Dieser Wert war den Autoren offenbar zu gering und überraschenderweise ist nahezu jede dritte Befragte schon einmal Opfer von körperlicher Gewalt gewesen. Warum also nicht einfach eine weitere Kategorie erstellen, in der man dann mit einem zusätzlichen Fragebogen ermittelt, ob eine Befragte sexuelle oder körperliche Gewalt durch den Partner erlitten hat? Und schon sind wir bei den von Frau Stokowski zitierten 25%. Klingt natürlich deutlich besser, nicht wahr?


Jetzt bin ich bei einer weiteren Betrachtung der Formulierungen in der Tabelle aber doch noch mal etwas stutzig geworden. In der Legende findet sich folgende Erklärung:

die Anteile erhöhen sich,wenn Angaben aus schriftlichem Fragebogen einbezogen werden (siehe Angaben in Klammern bei türkischen/osteuropäischen Migrantinnen und Hauptuntersuchung).

Das heißt, dass die Zahlen ohne Klammern sich nur aus der mündlichen Befragung zusammensetzen, während sich die Zahlen mit Klammern entweder nur aus der schriftlichen Befragung oder aus mündlicher und schriftlicher Befragung zusammensetzen. Der Text ist in Bezug darauf leider nicht eindeutig. Für die Hauptstudie (also die dunkel-orange Spalte), wird aber noch einmal explizit gesagt, dass es sich hier nur um die schriftliche Befragung bei den Zahlen in Klammern handelt (****).

Warum sinkt die Zahl von 25% auf 13%, wenn man eine schriftliche Befragung durchführt? Dieser Unterschied ist definitiv nicht zu vernachlässigen. Wurden hier den Befragten bei der mündlichen Befragung bestimmte Antworten nahegelegt?

Die letzte Kategorie lautet außerdem „sexuelle oder körperliche Gewalt durch Partner“. Itemliste 5 beschreibt aber die „Erfassung von körperlicher und sexueller Gewalt in Paarbe­ziehungen im schriftlichen Fragebogen“.

Woraus setzen sich also die 25% zusammen, die laut der Legende aus einer mündlichen Erhebung stammen müssen, wenn nur eine schriftliche Befragung über körperliche und sexuelle Gewalt vorgenommen wurde? Wurden hier dann letztendlich doch die Werte aus Itemliste 1 und 2 zusammengeworfen?

Möglicherweise übersehe ich hier etwas. Oder die Studie ist einfach irreführend und basiert auf einer unpräzisen und schlechten Methodik. You decide.

„Gewalt: Es ist kein Weißer“

Margarete Stokowski. Das Lesen dieses Namens löst in meinem Kopf normalerweise eine Kaskade immer stärker werdender Schmerzen aus, die ich nur wieder los werde, wenn ich die, dem Namen nachfolgenden, geistigen Ergüsse einfach so gut wie möglich ignoriere.

Gestern jedoch, war alles anders. Vor meinem geistigen Auge spielte sich eine Szene aus einem Paralleluniversum ab. Ein Universum, in dem das kollektive Beschuldigen einer demographischen Gruppe völlig in Ordnung war. In dem Menschen für Körpermerkmale, über die sie keinerlei Kontrolle haben, angeklagt und in einen Topf mit Vergewaltigern, Mördern und Kinderschändern geworfen werden können. Einfach so. In diesem Paralleluniversum machte ich wie gewohnt die Webseite von Spiegel-Online auf und musste Folgendes lesen:

Kommt es zu einer Gewalttat, fragen wir nach der Geschichte des Täters, nach seinem Geschlecht, nach seiner Ideologie und seiner Motivation. Nach der Hautfarbe zu fragen, haben wir uns abgewöhnt. Warum?

Wenn wir von einer Schwangerschaft erfahren, stellen wir oft zwei Fragen: Wann ist es so weit? Und: Weiß man schon, was es wird? Wenn wir von Schlägereien, Massenmord, Vergewaltigung oder Mord hören, fragen wir nicht mehr: Weiß man schon die Hautfarbe? Wir gehen davon aus, dass es nicht-hellhäutige Personen waren.

[…]

Der Schauspieler Wendell Pierce, bekannt aus „The Wire“, wurde aufgrund mutmaßlicher Körperverletzung in Gewahrsam genommen. Mehr als 50 Frauen, unter ihnen eine Vielzahl hellhäutig, werfen dem Comedian und Schauspieler Bill Cosby sexuellen Missbrauch vor. Ein dunkelhäutiger Mann aus dem US-Bundestaat Georgia erschoss skrupellos mehrere seiner Familienmitglieder. Sogar die Gewalt unter schwarzen Teenagern ist weit verbreitet: Im April wurden einer 16-jährigen von mehreren Mitschülerinnen so starke Verletzungen zugefügt, dass sie kurz darauf in einem Krankenhaus verstarb.

In Italien wurde erst vor kurzem ein hochrangiger Menschenhändler mit dunkler Hautfarbe festgenommen. Black Lives Matter-Aktivisten rufen immer wieder offen zu Unruhen und Gewalt auf, die dann in entsprechenden Taten resultieren. Die Gang-Kriminalität macht auch nicht vor neunjährigen Kleinkindern halt. Und auch das Massaker in Orlando, welches mit 50 Toten und mehr als 50 Verletzten endete, wurde von einem nicht-hellhäutigen Mann mit Abstammung aus Afghanistan durchgeführt.

[…]

Wir reden nicht über Hautfarbe oder Herkunft, obwohl wir umgeben sind von Gewalt, die von nicht-hellhäutigen Menschen ausgeht. In den USA erfasste das FBI 2015 jeden Tag rund 13 Vergewaltigungen von Schwarzen bzw. Afroamerikanern, und das sind nur die Fälle, die bei der Polizei angezeigt wurden, die Dunkelziffer ist wesentlich höher. Insgesamt waren unter den Verdächtigten im Bereich Sexualstraftaten 24,3% Afroamerikaner, obwohl diese nur 12,6% der Gesamtbevölkerung in den USA ausmachen. Laut den Verbrechensstatistiken des FBI sind eine Vielzahl an Verstößen gegen das Gesetz in der nicht-weißen Bevölkerung der USA überproportional vertreten.

[…]

Immer sind es die Weißen, die ihr Verhalten anpassen sollen

Im Englischen gibt es den Begriff der „toxic blackness“, also einer Lebensweise, die auf Dominanz und Gewalt basiert und Gefühle nicht zulässt. Dazu gehört auch die Vorstellung einer gigantischen Ladung sexueller Triebhaftigkeit, die nur mit Mühe in zivilisierten Bahnen gehalten werden kann. Es ist ein Problem, wenn Afroamerikanern immer wieder erzählt wird, dass ein „richtiger Schwarzer“ nicht weine, eine ausschweifende und geradezu animalische Sexualität habe und alles, was sich ihm in den Weg stellt, eigenhändig beiseite räumen müsse – ein Problem für Weiße und Schwarze.

[…]

Wir halten es für eine verdammte Selbstverständlichkeit, dass ein Weißer in der Dämmerung nicht mehr im Wald joggen gehen sollte. Ein Weißer. Immer sind es die Weißen, die ihr Verhalten anpassen sollen. Vielen Schwarzen ist nicht klar, wie sehr Weiße die Angst und den Schutz vor Gewalt in ihren Alltag integrieren. Wie sehr wir ein Klima von Bedrohung für normal halten. Wie oft wir ein Taxi nehmen, um nach Hause zu kommen, nicht aus Bequemlichkeit, sondern um sicher nach Hause zu kommen. Wenn wir das Geld haben.

Selbst Schwarze, die sich für komplett harmlos halten, können etwas dafür tun, dieses Klima der Angst zu ändern. Wenn Sie zum Beispiel abends auf der Straße allein hinter einem Weißen laufen und dieser Ihre Schritte hört, oder wenn Sie ihm entgegenkommen, wechseln Sie doch die Straßenseite. Sie ahnen nicht, wie erleichternd das sein kann.

Was sollte mir dieser rassistische Artikel aus dem Paralleluniversum nun sagen?

Genau. Dass es vollkommen absurd wäre, alle Mitglieder einer demographischen Gruppe kollektiv an den Pranger zu stellen, nur weil andere Menschen aus dieser Gruppe, mit denen sie zufälligerweise die gleiche Hautfarbe oder die gleiche Herkunft teilen, der statistischen Wahrscheinlichkeit nach häufiger Verbrechen begehen. Genauso wenig Sinn würde es ergeben, den Grund für diesen Befund an einer angeblichen intrinsischen Eigenschaft dieser Gruppe festzumachen; sei es vermeintlich „von Natur aus“ oder anerzogen. Weiterhin sollten die irrationalen Ängste der einen Gruppe, nicht als legitime Begründung für eine erwartete/geforderte Verhaltensanpassung der anderen Gruppe anerkannt werden. Vor allem dann nicht, wenn die Statistiken gegen diese irrationalen Ängste sprechen und besagte Gruppe sogar sicherer ist, als jede andere.

Aber zum Glück lebe ich ja nicht in diesem Paralleluniversum. Stattdessen darf ich mir dann ansehen, wie sich Frau Stokowski mit den gleichen Fehlschlüssen und der gleichen Hetze, nicht an der Hautfarbe, sondern an den Genitalien abarbeitet. Yay!

Feminismus und Zensur: Eine unheilige Allianz

Netzfeminismus ist ja in vielen Fällen eher inkompetent als qualifiziert. Eher plump als raffiniert. Eher amüsant als gefährlich.

Dieses Bild ändert sich aber in jenem Moment, in dem sich die Interessen und Ziele des Feminismus und der von Regierungsorganisationen überschneiden. Dieser Artikel aus der TAZ mit dem Titel „Das Internet zurückerobern“ zeichnet ein erschreckendes Abbild von genau dieser unheiligen Allianz.

So wie ihr geht es vielen Frauen, die regelmäßig das Internet nutzen. Das Phänomen hat unterschiedliche Namen – Hasskommentare, Hate Speech oder Cybersexismus – und es ist ein großes Problem. Netzfeministinnen machen seit Jahren darauf aufmerksam. Endlich scheint sich etwas zu tun: Diese Woche einigten sich die EU und wichtige Online-Netzwerke auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Hasskommentare.

Sind wir also wieder an diesem Punkt. Der nächste Zensurvorstoß, vorangetrieben von Personen wie Anne Wizorek und anderen, selbsternannten NetzfeministInnen. Dass diesen jedes Mittel Recht ist, um die Deutungshoheit in den von ihnen geführten Debatten zu behalten, ist ja bereits hinlänglich bekannt. Und auch die europäischen Regierungsorgane würden sich jederzeit einen Arm ausreißen, um endlich eine legitime Möglichkeit zur Entfernung von unerwünschten Meinungsäußerungen in der anderen Hand zu halten. Dieser neue EU-Beschluss ist scheinbar genau das, worauf beide Lager gewartet und hingearbeitet haben. Unter diesem werden Firmen und deren große soziale Netzwerke, wie Facebook, Twitter und Youtube, dazu verpflichtet „illegale Hassäußerungen“ innerhalb von 24 Stunden zu erkennen und zu entfernen. Gleichzeitig sollen „positive Gegenerzählungen gezielt gefördert werden“. Letztendlich soll hier also von der europäischen Regierungsebene aus auf den öffentlichen Diskurs Einfluss genommen werden. Wie das dann am Ende konkret aussieht und welche „Erzählungen“ unter die Entfernung bzw. Förderung fallen, bleibt unklar. Vermutlich bewusst.

Kraut and Tea weist in einem seiner Videos daraufhin, dass der Begriff „Hate Speech“ in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten der EU nicht unterschiedlicher und unschärfer formuliert sein könnte. Diese Initiative der EU würde an diesem Umstand mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts ändern. Ganz im Gegenteil, man würde nationale „Hate Speech“-Gesetze aushebeln, wenn diese weniger strikte Rahmen setzen. Dieser Beschluss könnte also ein probates Mittel darstellen, um eine Vielzahl an „unerwünschten“ Meinungsäußerungen völlig legal aus den öffentlichen Debatten zu entfernen.

Als besonders interessant stellen sich natürlich die Begründungen für eine solche EU-weite Maßnahme heraus:

Wie real dieser Hass ist, zeigen nicht nur individuelle Erfahrungen, sondern auch diverse Studien. Der britische Thinktank Demos filterte drei Wochen lang Tweets nach den Worten „slut“ oder „whore“. Weltweit wurden in diesem Zeitraum 80.000 Nutzer_innen mit 200.000 solcher Tweets beleidigt. Auch der Guardian beschäftigte sich mit Hate Speech, und zwar auf der eigenen Webseite. Das Ergebnis: Obwohl die Mehrheit der Journalist_innen männlich ist, befinden sich unter den zehn am häufigsten beleidigten Autor_innen acht Frauen und zwei schwarze Männer.

Ich bin immer wieder beeindruckt, mit welcher Vehemenz bestimmte mediale Vertreter ihre Agenda vorantreiben und sich dabei einen Dreck darum scheren, wie offensichtlich verbogen die eigene Narration doch ist. Vielleicht haben wir aber auch inzwischen ein Stadium erreicht, in dem die blanke Grobschlächtigkeit schon wieder als perfide angesehen werden muss.

Denn dass die Befunde der Demos-Studie aufzeigen, dass die Mehrheit der aggressiven Tweets mit besagtem Inhalt von Frauen verschickt wurden, wird hier natürlich nicht erwähnt. Wenn das Geschlechterverhältnis zwischen „Täter“ und „Opfer“ jedoch wieder mit der Narration konform geht – wie im Fall der „Studie“ des Guardian – dann weist man mit Nachdruck darauf hin. Achja, und da waren ja noch die Ergebnisse des PewResearchCenter über online harassment, die man hier unerklärlicherweise auch nicht aufführt. So sieht Cybersexismus also im Jahr 2016 aus.

Aber auch Frau Wizorek scheut sich nicht eine gute Portion kognitiver Dissonanz zur Schau zu stellen:

Wenn ich daran denke, wie unbeschwert ich noch vor ein paar Jahren im Netz unterwegs war und was ich dort gepostet habe, dann bin ich immer überrascht, wie leichtfüßig ich unterwegs war. Das ist heute nicht mehr so“, sagt Wizorek auch über sich selbst. „Es entsteht eine Schere im Kopf.“

Natürlich. In einer Gesellschaft, in der die freie Meinungsäußerung noch in weiten Teilen ungehindert ausgeübt werden kann, muss man eine Selbstzensur vornehmen, weil einem sonst „Hass“ entgegenschwappt. Kleiner Tipp: Vielleicht sollte man die Definitionen von „Hass“ und „Kritik“ noch einmal nachschlagen und anschließend den eigenen Standpunkt neu evaluieren.

Im Grunde wissen wir aber alle: Das wird nicht geschehen. Stattdessen wird ein staatlicher Zensurapparat gefordert, der uns den Safe Space ermöglicht, den wir uns alle schon so lange wünschen. Denn die naheliegendste Lösung – die Option zur selbst bestimmten Handlung – ist heute nicht mehr „zeitgemäß“:

„Wenn Frauen oder andere Gruppen in sozialen Netzwerken Drohungen erhalten und dann zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten und sie dann erstmal gefragt werden: Was ist denn Twitter? Und dann als Antwort kommt: Dann hören sie eben auf, dort zu schreiben, dann ist das nicht zeitgemäß.“

Die sprachliche Unschärfe, die hier zur Verwendung kommt, ist schon faszinierend. Was meint Frau Wizorek? Von welcher Art „Drohungen“ ist hier die Rede? Ein kritischer Tweet? Oder geht es hier um die viel beschworenen Morddrohungen, die zwar immer wieder angeführt, aber komischerweise nie nachgewiesen werden. Und ja, im letzteren Fall sollte die Polizei ihre Arbeit ernst nehmen und entsprechende Ermittlungen aufnehmen. Da es aber nicht um Morddrohungen geht, die auch nach heutigem Recht bereits illegal sind und polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen, sondern offenbar um andere Formen der „Drohung“, bleibt unklar, wieso die Blockier-Option auf Twitter/Facebook/Youtube als bereits vorhandene Lösung nicht ausreicht.

Ein egalitäres Netz ist laut Wizorek aber im Interesse aller: „Wenn sich Frauen aus dem Netz verdrängen lassen, wird unsere gesellschaftliche Vielfalt nicht abgebildet. Und das ist schade, weil das Internet ursprünglich so ein Emanzipationspotential hatte.“ Wir verspielen damit eine Chance für eine gleichberechtigtere Gesellschaft.

Diese paternalistische Denkweise ist ja kaum auszuhalten. Egalitär ist also, wenn alle den gleichen Zugang zum Netz, aber auch gefälligst die gleiche Meinung haben. Insofern Frauen sich wirklich von unhöflichen/unangenehmen Nachrichten aus dem Internet verdrängen lassen, dann liegen Ursache und Lösung des Problems mit Sicherheit nicht in staatlicher Einflussnahme und Zensurmaßnahmen.

Auf diesen Gipfel der kognitiven Dissonanz fällt mir als Schlusswort eigentlich nur ein Zitat von Prof. Gad Saad ein:

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Die Geschichte von den Orcas und wie Kultur (nicht) die Evolution beeinflusst

Vielen Menschen kann ich es ja eigentlich gar nicht verübeln, dass sie empirische Daten aus bestimmten Studien nicht (oder nur halb) verstehen und daher Zusammenhänge falsch darstellen. Nicht jeder beschäftigt sich privat oder beruflich mit der biologischen Forschung und gerade in diesem Wissensfeld werden Standpunkte und Meinungen aus Halbwissen und Bauchgefühl geboren, da man meint über etwas zu philosophieren, dass man ja aus erster Hand tagtäglich erfährt. Man ist ja schließlich selbst Teil des organischen Lebens auf diesem Planeten.

Wenn sich aber eine Webseite mit dem Namen „New Scientist“ auf das gleiche Niveau begibt, dann zerreißt es mir unverzüglich die Samthandschuhe:

Orcas are first non-humans whose evolution is driven by culture

Ahja. Die genetische Evolution von Orcas wird also durch deren Kultur beeinflusst und sozusagen „geführt“.

Bereits im ersten Absatz des Artikels werden dann aber plötzlich ganz andere Töne angeschlagen:

Many researchers accept that cultural experiences have helped shape human evolution

Das kann man durchaus unterschreiben, je nachdem wie man Kultur („cultural experiences“) definiert. Im Originalartikel, auf den sich der Artikel des „New Scientist“ bezieht, findet sich folgende Definition für Kultur:

Culture has been broadly defined as information that is capable of affecting individuals’ behaviour, which they acquire from other individuals through teaching, imitation and other forms of social learning. (Quelle: Foote et al. 2016)

Mit dieser Definition von Kultur habe ich ebenfalls kein Problem. Für Vorgänge, bei denen ein, vermutlich ursprünglich spontan auftretendes, Verhalten in einer Population durch Lernen und Imitation zwischen Individuen weitergegeben wurde und dadurch als fester Bestandteil des Verhaltensrepertoire etabliert wird, lassen sich viele Beispiele finden. Hierzu zählt z.B. das Domestizieren von Kühen, und dem folgend, das verstärkte Auftreten von Laktose-Verträglichkeit im Erwachsenenalter in menschlichen Populationen mit Siedlungsgebieten in Mittel- und Südosteuropa. Dieses Beispiel wird ebenfalls im „New Scientist“-Artikel aufgegriffen und der Autor schießt damit dann auch direkt den Vogel ab:

Human genomes have evolved in response to our cultural behaviours: a classic example is the way that some human populations gained genes for lactose tolerance following the onset of dairy farming. (Quelle: New Scientist)

Menschliche Populationen haben also Gene erhalten, als Folge von kulturell erworbenem Verhalten? Auch auf die Gefahr hin, dass ich hier den Eindruck der Haarspalterei erwecke, so ist die verwendete Formulierung doch mehr als irreführend. Und das klärt auch das Paper auf, welches der Autor in seinem Satz verlinkt hat. Dort liest sich Folgendes:

For instance, several lines of evidence show that dairy farming created the selective environment that favoured the spread of alleles for adult lactose tolerance. (Quelle: Laland et al. 2010)

Das ist ja dann doch ein kleiner Unterschied. Die Gene/Allele waren also bereits in der Population vorhanden und konnten sich aufgrund der veränderten Umweltbedingungen (zu denen auch Kultur und Gesellschaft zählen) in der Population verstärkt ausbreiten, da Menschen mit Laktose-Verträglichkeit bessere Überlebenschancen durch die zusätzliche Nahrungsquelle hatten. Kultur verändert also nicht die Gene, sondern fokussiert die Ausprägung bestimmter, vorteilhafter Allele im Phänotyp in Abhängigkeit der Umweltfaktoren. Auch hier finden wir eine hierarchische Struktur wieder, bei denen eine kulturelle Veränderung nur auf Basis der Gene und der Umweltfaktoren stattfinden kann.

Kommen wir jetzt wieder zurück zum Ursprungsartikel und der Geschichte von den Orcas. In dieser Spezies finden wir also einen analogen Prozess: Verschiedene Sub-Populationen von Orcas haben jeweils eigene ökologische Nischen erobert und zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen z.B. in der Beutejagd. Dass sich diese Sub-Populationen aufgrund der räumlichen Trennung und des Gründereffekts auf genetischer Ebene unterscheiden, ist ebenfalls zu erwarten. Warum der Autor jedoch versucht hier die Kausalität umzudrehen und der „Kultur der Orcas“ die Fähigkeit zuspricht, ihre eigene genetische Grundlage zu beeinflussen, bleibt im Dunkeln.

Um es noch einmal vereinfacht zu formulieren: Die Gene legen fest, in welchem Rahmen sich Verhaltensweisen ausprägen können (Verhaltensflexibilität bzw. Verhaltensplastizität) und die herrschenden Umweltbedingungen fördern oder behindern die Ausprägung spezifischer Verhaltensweisen.

Im Fall der Orcas gibt es also zwei Möglichkeiten: Entweder besaßen die Orcas bereits eine sehr hohe genetische Diversität, die dann wiederum eine sehr hohe Verhaltensplastizität erlaubte oder durch den Gründereffekt kam es in den Sub-Populationen zu einem genetischen Drift, der dann wiederum die Ausprägung der jetzt beobachtbaren Verhaltensunterschiede ermöglichte. Keine dieser beiden Möglichkeiten schließt die andere aus und eine Kombination beider Effekte ist denkbar.

Was jedoch nicht passiert ist, ist dass eine Sub-Population der Orcas eine über deren Kultur vermittelte Verhaltensweise erlernt hat, welche dann für die Entstehung der dazu passenden Gene/Allele verantwortlich war. Kultur kann nur mit dem Material arbeiten, welches die Gene liefern. Und „Wissenschaftsjournalismus“ sollte man immer mit Skepsis begegnen.

„Die Zweigeschlechtlichkeit ist biologisch nur noch schwer zu beweisen“

Christian von Alles Evolution hatte in einem Tweet auf diesen Artikel des Tagesspiegel hingewiesen, in welchem der verzweifelte Versuch diverser VertreterInnen der Gender Studies besprochen wird, ihre Forschung gegen Kritik zu „verteidigen“. Man kann aber nicht von einer redlichen Verteidigung sprechen, da dieses Zusammentreffen von Politik und Forschung unter dem Motto „Dialog statt Hass“ gelaufen ist. Damit wird bereits klar, dass die überwältigende Kritik an den Gender Studies nicht als konstruktiv gesehen, sondern direkt als Hassrede deklariert wird. Vermutlich in der Hoffnung, den Kritikern damit den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Dass man mit so einer Wortwahl aber bereits die Schwäche der eigenen Position demonstriert bevor die Gegenseite auch nur den Mund aufgemacht hat, lasse ich jetzt einfach einmal so im Raum stehen.

Es wird viel relativiert („Nur 0,4 Prozent der Professuren sind der Genderforschung gewidmet, das ist doch alles nicht so wild!“) und man stilisiert sich selbst als Opfer („Gender-Bashing“). Also so weit, so erwartbar. Interessanter ist jedoch der letzte Abschnitt des Artikels, über den ich hier kurz ein paar Worte verlieren möchte:

„Die Biologie findet so viele Geschlechter, wie sie sucht“

[…]

„Wenn Biologen zwei Geschlechter finden wollen, finden sie auch zwei“, war am Biologie-Tisch zu erfahren. „Suchen sie fünf, finden sie fünf.“ Die Vorstellung, es gebe nur zwei Geschlechter, sei jedenfalls längst in Auflösung, weil die Zweigeschlechtlichkeit biologisch nur noch schwer zu beweisen sei. Allerdings leide das Fach Biologie an einem Mangel an Genderreflexion. Ein Kongress, auf dem sich Biologinnen mit Kulturwissenschaftlerinnen über Gender austauschen, könne Abhilfe schaffen, schlug eine Forscherin vor. Vielleicht verläuft die Debatte dann auch kontroverser als im Abgeordnetenhaus.

Vielleicht habe ich in meinem Biologiestudium zu viele Vorlesungen oder Seminare verpasst, aber mir war bis heute nicht bewusst, dass „Zweigeschlechtlichkeit nur schwer zu beweisen sei“. Es gibt Myriaden an empirischen Studien, durchgeführt über den Zeitraum vieler vergangener Dekaden bis hin zur heutigen Zeit, in denen die „Zweigeschlechtlichkeit“, also die Einteilung in einen männlichen und weiblichen Phänotyp und Genotyp, von Organismen verschiedener Spezies nachgewiesen wurde. Es gibt sogar ein Gen, welches bei Säugetieren (zu denen auch der Mensch zählt) klar definiert, ab wann ein Organismus als männlich oder weiblich angesehen werden muss: Das SRY-Gen, welches sich normalerweise auf dem Y-Chromosom befindet. Ist es vorhanden, kommt es während der Embryogenese zur Ausbildung von Hoden und damit zu einer Geschlechtsdifferenzierung hin zum männlichen Geschlecht. Ist es nicht vorhanden bzw. funktionslos, bilden sich Eileiter und Gebärmutter, und dieser Kaskade folgend kommt es zur Geschlechtsdifferenzierung hin zum weiblichen Geschlecht.

Durch Mutationen oder andere Fehlentwicklungen bei z.B. der Reifeteilung kann es zu verschiedenen Symptomen/Syndromen, wie z.B. dem XX-Mann, kommen. Hier hat ein Individuum kein Y-Chromosom, aber dennoch einen männlichen Phänotyp. Durch eine Translokation des SRY-Gen auf eines der X-Chromosome kommt es bei diesen Individuen zur Einleitung der männlichen Geschlechtsdifferenzierung. Auch in diesen Sonderfällen findet sich eine klare Einteilung in männlich und weiblich auf phänotypischer und genoytpischer Ebene: Ein XX-Mann hat einen weiblichen Genotyp (oder auch Karyotyp) und einen männlichen Phänotyp. Jegliche Abweichung von der Dichotomie, jede „Zwischenform“, ist eben genau das: Eine Mischung aus weiblichen und männlichen (Geschlechts)Merkmalen. Daraus folgt aber kein drittes, viertes oder fünftes Geschlecht.

Die Behauptung, die Biologie würde so viele Geschlechter finden, wie sie sucht, ist also kompletter Bullshit.

Aber jetzt kommt natürlich die Trumpfkarte der Anhänger diverser konstruktivistischer Theorien: Das soziale Geschlecht und biologische Geschlecht muss man voneinander trennen! Nein, muss man nicht. Zuerst einmal ist die willkürliche Trennung in ein soziales und biologisches Geschlecht eine unnötige Erhöhung der notwendigen Annahmen für eine Theorie. Zweitens zeigen Untersuchungen an transsexuellen Personen, dass geschlechtertypische Verhaltensweisen durch die Gabe von entsprechenden Hormonkonzentrationen beeinflusst werden können. Drittens zeigen unsere nächsten Verwandten eine vergleichbare „Zweigeschlechtlichkeit“ und bei diesen Spezies sind Einflüsse einer Sozialisierung, wie man sie beim Menschen findet, auszuschließen. Theorien, welche eine Einheit aus Nature versus Nurture annehmen, sind daher auf Basis der empirischen Forschung und unter der Beachtung von Ockhams Rasiermesser zu bevorzugen.

Im Artikel des Tagesspiegel finden sich noch Verweise auf zwei weitere Artikel zum Thema, in denen ähnliche Fehltritte zu finden sind. Um aber emotional nicht vollkommen aus der Balance zu fallen, verschiebe ich eine detaillierte Betrachtung und Besprechung dieser Artikel auf einen späteren Zeitpunkt.