Nikkys Freundin versteht nicht: Warum wir den Feminismus heute noch brauchen

Manchmal stelle ich mir die Frage, ob diese ganze „Hysterie“ um den Feminismus – wie sie ja oft von Personen außerhalb der feministischen Peer-Group beschworen wird – überhaupt gerechtfertigt ist. Mit meinen liberalen Ansichten vertrete ich auch gleichzeitig ein positives Menschenbild und bin der Meinung, dass im Inneren die meisten Personen doch eigentlich rationale, kritische und skeptische Wesen sind. Und dann wiederum stoße ich auf so was:

Ich weiß gar nicht wo ich überhaupt anfangen soll. In den ersten 30 Sekunden werden einem so viele angebliche Erfolge der feministischen Bewegung maschinenhaft um die Ohren gehauen, dass man das Gefühl bekommt, Skynet hätte bereits die Welt übernommen. Daher hier nur die offensichtlichsten Fehltritte:

  • Das Wahlrecht

Ungleich des ewigen feministischen Märchens wurde das Wahlrecht vor 100+ Jahren nicht nach Geschlechtszugehörigkeit verteilt. Stattdessen war das Wahlrecht an Reichtum und Grundbesitz gekoppelt. Die ersten nachweislichen Berichte von Frauen mit Wahlrecht stammen bereits aus dem Jahr 1647.

1608: Juliana Morell, a Spanish woman, became the first woman to earn a doctorate degree (indeed, the first woman to earn any type of university degree).

Und noch weiter zurück geht unsere Zeitreise.

  • Recht auf einen Beruf

Abgesehen davon, dass die Vorstellung, Frauen hätten in vormodernen Zeiten nicht ebenso handwerkliche und körperliche Arbeit verrichtet wie ihre männlichen Gegenstücke, völlig absurd ist, so gibt es auch unzählige historische Berichte von Frauen, die mit „höheren“ Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdient haben.

Und dann kommt Minute 0:40 im Video:

Nach wie vor prägen strukturelle Diskriminierungen und Benachteiligungen von Frauen unsere Gesellschaft. [Pause] [Leerer Blick]

Okay. Bitte anschnallen, Greatness awaits:

Der Gender Pay Gap liegt bei sagenhaften 23%[…]

Das nächste tote Pferd. Immerhin hängt sie danach noch an:

Und selbst wenn man alle Faktoren rausrechnet[…]bleiben immer noch 8%, die ein Mann mehr verdient als eine Frau, bei gleicher Arbeit.

Nö. Natürlich ist es hier wichtig, welche Studie man sich anschaut, denn der bereinigte Gender Pay Gap wird abhängig von den Autoren jeweils anders erhoben und interpretiert. Viel wichtiger ist allerdings die Implikation, dass der Gender Pay Gap angeblich die Folge von Diskriminierung sei. Die Tatsache, dass wir Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen finden, lässt sich mit einer Vielzahl anderer Faktoren erklären. Die Behauptung, dass ein Anteil an diesem Verdienstunterschied, den wir bisher noch nicht erklären können, automatisch die Folge von Diskriminierung sein soll, ist nichts anderes als ein God-of-the-Gaps-Argument.

Und jetzt folgt das eigentliche Zuckerstück des Videos:

Zweitens ist der Gender Pay Gap vor allem auch ein Ausdruck dafür, dass Arbeit die traditionell von Frauen verrichtet wird, etwa soziale Berufe, weniger wert geschätzt und deswegen auch weniger bezahlt werden, als von Männer verrichtete Berufe, etwa in der Industrie. Schon mal darüber nachgedacht!?

Ich weiß schon, wer hier nicht nachgedacht hat und es ist nicht der naive Zuschauer. Auch ohne Wirtschaftsexperte zu sein, ist selbst mir klar, dass die Höhe der Löhne von zwei entscheidenden Faktoren abhängt: Wie viel erwirtschaftet das Unternehmen und wie viele potenzielle Arbeitnehmer gibt es. (Und ja, bevor mir jetzt ein BWLer Simplifizierung vorwirft: Ich weiß, dass es nicht so einfach ist. Um den logischen Fehlschluss im Video aufzuklären, reicht es aber allemal).

Ein Unternehmen, welches industrielle Produkte herstellt, für die es eine hohe Nachfrage gibt und für deren Herstellung ein spezifischer, höherer Bildungsabschluss notwendig ist, wird mehr Lohn zahlen (müssen). Hingegen wird ein Unternehmen, welches soziale Dienstleistungen anbietet, die auch von niedriger qualifizierten Arbeitnehmern ausgeführt werden können und für die es sowohl eine geringere Nachfrage, als auch einen geringeren wirtschaftlichen Nutzen gibt, weniger Lohn zahlen. Geschlecht hat in dieser Gleichung nur insoweit einen Einfluss, als dass sich offenbar mehr Frauen individuell dafür entscheiden in einem Arbeitsbereich tätig zu sein, welcher aufgrund wirtschaftlicher „Umweltbedingungen“ weniger Lohn zahlen kann und will. Niemand hält Frauen davon ab, ihre Karriere in den gleichen Arbeitsfeldern wie Männer zu starten. Entsprechend sollten hier dann auch die Lohnunterschiede verschwinden.

Der Rest des Videos ist relativ substanzloses Blabla über „not asking for it“ und „sexuelle Objektifizierung“. Die vorgebrachten „Argumente“ für Letzteres lassen sich mit einem kurzen Verweis auf folgende Werbung entkräften. Nacktheit wird natürlich unter keinen Umständen universell eingesetzt, um Produkte zu bewerben. Lächerlich!

Update (29.05.2016): Für das Video wurden inzwischen Kommentare und Bewertungen deaktiviert. Na, wer hätte das denn erwartet. Warum auch in einem offenen Dialog über die vorgebrachten Ideen diskutieren, wenn man sich einfach in seinen Echo Chamber zurückziehen kann.